Meisterin der Runen
standen – ob nun auf der Seite der Heiden oder der Christen. Ich hätte mein Leben gegeben für das Versprechen, dass du in Frieden aufwachsen würdest. Doch ich musste mein Leben nicht geben, denn Richard hat uns diesen Frieden geschenkt, nicht unbedingt einen dauerhaften, aber dank Gunnoras Einwirken auf die Heiden von Jeufosse einen verlässlichen. Und nun bringt ausgerechnet meine Tochter Unfrieden. Das fasse ich nicht.«
Alruna fasste es selbst nicht. »Versteh doch … ich liebe Richard, nur deshalb …«
»Nein!« Mathildas Schrei drang durch Mark und Bein. »Du liebst ihn nicht, du liebst ihn schon lange nicht mehr, du hast dich nur ans Leid gewöhnt, das diese Liebe bringt. Deine Tat wurde nicht aus der Hoffnung geboren, er könnte dir doch noch sein Herz öffnen, sondern aus Verbitterung darüber, dass er und Gunnora nicht zerstört sind wie du. Wenn du ihn liebtest, würdest du seinem Kind niemals ein Leid zufügen.«
Da erst begriff Alruna, dass sie sich auch vor der Mutter nicht würde rechtfertigen können. Und in ihr niemanden finden, der sie nicht verdammte. Mathilda würde sie nicht von der Schuld freisprechen, nur Gott konnte das und sie selbst, aber Gott war so fern, und wie sollte sie Gnade in sich finden, wenn sie doch so gnadenlos gewesen war, einem Kind nach dem Leben zu trachten?
»Und jetzt?«, fragte sie leise.
»Geh!«
Alruna zuckte zusammen. »Du schickst mich fort? Du verjagst mich aus meinem Zuhause?«
»Nicht ich … aber Richard. Er hat es so entschieden.«
»Vater wird dem unmöglich zustimmen!«
»Dein Vater lässt ihn gewähren.«
»Aber du kannst das doch nicht zulassen! Wo soll ich leben? Und wovon? Soll ich auf den Straßen um Brot betteln?«
Mathilda seufzte. »Du sollst dir Zeit nehmen, über dich und das, was du getan hast, nachzudenken. Geh zu den Nonnen von Saint-Armand. Sie werden dich mit dem Nötigsten versorgen. Dort kannst du Buße tun.«
Mit dem Nötigsten …
Alruna schloss die Augen, sah voller Entsetzen ihr künftiges Leben vor sich.
Wasser, Brot, eine Büßerpritsche, Gebete, durchwachte Nächte, eine eiskalte Kapelle, schmerzende Knie.
Ich muss nicht nachdenken, ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe!, hätte sie am liebsten geschrien, aber sie blieb stumm.
Mathilda wandte sich ab und ging, ohne Abschied von ihrer einzigen Tochter zu nehmen.
Die Hebamme hatte dem Kleinen einen Sud aus Majoran, Kampfer, Schafgarbe und Huflattich gebraut, um das Fieber zu senken. Noch glühte zwar sein Köpfchen, aber immerhin war er friedlich eingeschlafen. Gunnora genügte das nicht. Auch wenn die Haut wieder gesund aussah und der Puls sich beruhigt hatte – das Fieber könnte wiederkehren. Anstatt tatenlos bei ihrem Kind zu sitzen und seinen Schlaf zu bewachen, schnitzte sie die Rune Algiz, die die Macht zu heilen hatte.
Vielleicht würde das dem christlichen Gott nicht gefallen, dem sie nun diente, aber wenn dieser Gott weise war, zumindest so weise wie Odin, der für seine Weisheit ein Auge geopfert hatte, würde es ihm nicht in den Sinn kommen, eine besorgte Mutter zu tadeln. Sie legte die Rune unter das Bettchen des Kleinen, blieb über Stunden bei ihm sitzen, befühlte immer wieder das Gesicht. Es wurde kühler, nicht heißer.
Nach zwei Nächten konnte sie sich endlich wieder von ihrem Kind trennen und es der Aufsicht seiner Amme überlassen. Zu schlafen vermochte sie jedoch nicht, obwohl sie todmüde war.
Auch Richard wachte. Der Morgen war noch bleich, aber er ging hektisch in seinem Turmzimmer auf und ab. Als er sie sah, stürzte er auf sie zu.
»Ist er …«, setzte er an.
»Beruhige dich! Es geht ihm wieder gut, das Fieber scheint gebannt.«
Erst machte sich Erleichterung in seinen Zügen breit, dann blanke Wut. »Das macht es nicht besser.« Seine Stimme war kaum lauter als ein Zischen.
Gunnora trat zu ihm und hielt ihn fest, als er erneut auf und ab gehen wollte. »Gewiss«, murmelte sie. »Und dennoch … du hast immer gesagt, sie sei wie eine kleine Schwester. Es gibt nichts, was ich Wevia, Duvelina und Seinfreda nicht verzeihen würde.«
»Auch nicht, wenn sie dein Kind zu töten versuchen?«, rief Richard empört und riss sich von ihr los.
Gunnora wusste, so weit würden ihre Schwestern niemals gehen. Warum auch? Aber das war nicht der rechte Einwand, um seine Wut zu schmälern. Trotz ihrer Müdigkeit und trotz ihrer Sorge wollte sie das jedoch.
»Sie hasst mich und unser Kind doch nur, weil sie dich liebt«, murmelte
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