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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Kopf.
    Der Grat zwischen Leben und Tod war ein schmaler, sie drohte mehrmals darauf auszurutschen, aber sie erhob sich immer wieder und hielt das Gleichgewicht. Wurzeln schnitten sich in ihre Fußsohlen, vielleicht bluteten sie längst, aber das war nicht wichtig. Das Blut würde ja doch im Moos versickern.
    Das Hufgetrappel riss ab, das Wiehern auch. Stand das Pferd still, weil sein Reiter ihm das befohlen hatte, oder hatte sie ihn abgeschüttelt?
    Sie rannte weiter, bis sie nicht mehr konnte, und mit dem Licht schwanden ihre Lebenskräfte. Längst sah sie nur mehr Schemen, und ihre Brust schmerzte, als hätte sein Schwert sie bereits getroffen. Sie sank nieder, richtete sich mühsam und keuchend wieder auf.
    Nicht weit von ihr stand eine Hütte, und ob des tröstlichen Anblicks schaffte sie doch noch ein paar Schritte. Dann erst erkannte sie, dass es nicht ihre war, vielmehr eine, die sie nie wieder hatte betreten wollen.

    Der Wald war bei Tag ein farbenprächtiges Reich: Seine herbstlichen Blätter leuchteten golden, die Spinnennetze zwischen den Zweigen glitzerten vom Tau silbern, die saftige Erde war rötlich. Doch bei aufziehender Dunkelheit schwanden die Farben, und aus dem kräftigen, süßlichen Geruch wurde ein modriger.
    Längst stand auch kein Spott mehr in den Gesichtern der Männer, die den Grafen und Alruna bei ihrem Ausritt begleiteten, sondern Sorge, wenngleich niemand sie benennen wollte.
    Sie selbst konnte sich irgendwann nicht mehr beherrschen. »Wo bleibt er denn?«, rief sie ungeduldig. »Es ist doch nicht möglich, dass jede Spur von ihm fehlt!«
    Sie hatte es so genossen, als sie in den frühen Morgenstunden aufgebrochen waren und Rouen hinter sich gelassen hatten. Zwar hatten sie kaum ein Wort miteinander gesprochen, doch wie sie da Seite an Seite ritten, hatte sie sich gern mit Richards Nähe begnügt und damit, dann und wann einen Blick auf ihn zu werfen und zu spüren, wie er allen dunklen Gedanken davongaloppierte.
    Ewig hätte sie so weiterreiten können, ewig dem Rascheln und Knacken lauschen, ewig die würzige Luft einatmen!
    Richard jedoch war bedauerlicherweise allzu bald langweilig geworden. Er wollte nicht nur reiten, sondern jagen, und die Männer, die mit ihnen gekommen waren, Raoul und Arfast darunter, offenbar auch. Kaum hatte er den Befehl gegeben, waren sie mit den Pferden ins Unterholz geprescht, jedoch anders als Richard immerhin in ihrer Nähe geblieben. Und sie hatten sich mit Kleinvieh begnügt – Mardern, Ottern und Bibern. Richard hingegen hatte sich in den Kopf gesetzt, einen Rothirsch oder ein Wildschwein zu erlegen. Aus der Ferne hatte man ihn plötzlich rufen hören, dass er ein solches Tier sehe – das letzte Lebenszeichen von ihm. Auf das Trappeln der Hufe und das Knacken der Bäume war kein weiterer Laut gefolgt, der verriet, wohin er geritten war.
    Seit Stunden warteten sie nun schon auf der Lichtung, von der sie aufgebrochen waren, doch er kehrte nicht wieder. Raoul und Arfast war die Unruhe deutlich anzusehen. Längst wären sie aufgebrochen, ihn zu suchen, hätten sie sich nicht für ihren Schutz verantwortlich gewähnt.
    Um mich braucht ihr euch keine Sorgen zu machen, sondern um ihn!, hätte Alruna ihnen am liebsten zugerufen. Sie tat es nicht, weil sie insgeheim froh war, sie an ihrer Seite zu wissen, vor allem aber, weil alle Sorge um Richard ihren Grimm nicht vertreiben konnte.
    Warum hatte er sie im Stich gelassen? Warum war es ihm nicht genug gewesen, mit ihr durch den Wald zu reiten? Warum musste er Tiere jagen, um das andere große Töten zu vergessen?
    Sie wusste nicht, was schlimmer war: dass er so gedankenlos war, sie einfach zu vergessen, oder dass er womöglich gern zurückkehren wollte, sich jedoch verirrt hatte.
    So oder so ertrug sie den Anblick der toten Tiere, die Arfast und Raoul an ihrem Gürtel trugen, nicht. Am liebsten hätte sie sie gepackt und so weit wie möglich von sich fortgeschleudert, selbst wenn es bedeutete, dass sie ihr Blut würde berühren müssen.
    »Wo bleibt er nur?«, rief sie wieder klagend. »Ich verstehe das einfach nicht!«
    »Mach dir keine Sorgen«, tröstete Raoul sie, »Richard liebt nun mal die Einsamkeit der Wälder. Schon oft ist er von uns fortgeritten, damit er allein sein und in Ruhe manch schöne Jägertochter verführen konnte.«
    Er zwinkerte ihr vertraulich zu, und sie erwiderte finster seinen Blick. Als wäre es leichter für sie, ihn in den Armen einer anderen Frau zu wissen als allein im

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