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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Wald!
    »Im Wald trifft man womöglich nicht nur schöne Jägertöchter, sondern auch Feinde«, murrte sie. »Thibauds Krieger könnten vor der Schlacht dorthin geflohen sein. Warum hat er denn nicht wenigstens die Hunde mitgenommen?«
    »Thibauds Krieger sind entweder gefallen oder in die Heimat zurückgekehrt«, versuchte nunmehr Arfast, sie zu beschwichtigen. »Jetzt wird es bald Nacht, und dann sind allenfalls Geister unterwegs.«
    Er lachte das leise Zittern in seiner Stimme weg.
    »Und die Geister sind Richard wohlgesinnt«, fügte Raoul rasch hinzu. »Einmal führten sie ihn zu einem wundersamen Obstbaum. Er nahm drei Äpfel davon mit, ließ sie anpflanzen, und über Nacht wurde der Wald um Rouen daraus.«
    Alruna hörte diese Geschichte nicht zum ersten Mal. Auch eine andere war im Umlauf. Richard hatte sich einst im Wald verirrt wie an diesem Tag und auf einer Lichtung Frauen unter weißen Schleiern einen Reigen tanzen sehen. Im Mondschein hatte es den Anschein gehabt, sie würden über den Boden gehen, ohne das Gras niederzudrücken, und sie dufteten nach Rosen. Als Zeichen besonderer Gnade erschien es den Menschen, dass er sah, was andere nicht sehen konnten.
    Alruna dachte hingegen plötzlich bitter, dass er Engel gewiss nicht von Dämonen unterscheiden konnte, war er doch blind für die Herzen der Menschen. Nie hätte er sie allein gelassen, könnte er ein Mindestmaß der Sorge nachfühlen, die sie jetzt umtrieb!
    Ich bin doch nicht anmaßend, dachte sie verstört. Ich wünsche mir kein Jahr an deiner Seite – nur einen Tag. Doch eine Stunde scheint dir schon zu viel zu sein.
    Schweigend warteten sie, bis die Schwärze endgültig das letzte rot glühende Sonnenlicht verschluckt hatte und ihr vor Kälte die Zähne klapperten. Raoul führte sein Pferd dicht an ihres heran. »Wir können hier nicht ewig warten … vor allem du nicht«, sagte er leise. »Ich schlage vor, dass du mit Arfast zurück nach Rouen kehrst und ich allein nach Richard Ausschau halte. Sei gewiss, schon morgen früh kehren wir beide wohlbehalten zum Hof zurück.«
    »Aber ich kann doch nicht …«
    »So ist es«, fiel er ihr ins Wort, »du kannst nichts tun – zumindest nicht für ihn. Du kannst nur dafür sorgen, dass du selbst ins Warme kommst und etwas zu essen kriegst. So erbärmlich wie du aussiehst, kannst du es dringend gebrauchen. Richard würde mich töten, wenn du erkranktest und ich tatenlos dabei zusähe.«
    Das Schlimme war, dass sie sich dessen nicht einmal sicher sein konnte.
    Auch Arfast ritt nun dicht an sie heran, nahm seinen Mantel von den Schultern und hänge ihn ihr über. Die Kälte verging, der Hader nicht.
    »Raoul hat recht, komm mit mir.«
    Ihr lag es auf der Zunge zu widersprechen, doch als er sich vorbeugte, die Zügel ihres Pferdes nahm und sie mit sich führte, wehrte sie sich nicht. Erst nach einer Weile drehte sie sich um, sah jedoch nichts mehr von Raoul, nur die Bäume. Wie eine stramme Armee schienen sie dazustehen, Richard mit Absicht vor ihr zu verstecken und ihr ebenso feindselig wie höhnisch nachzublicken.
    Du kriegst ihn nicht, das Jagdglück ist ihm wichtiger als deine Gesellschaft, das Lied des Waldes klingt in seinen Ohren süßer als deine Stimme …
    »Er hat schon größere Gefahren überstanden als eine Nacht im Wald«, versuchte Arfast sie zu trösten. »Morgen früh kehrt er zurück nach Rouen und wird erleichtert sein, dass du nicht noch länger gefroren hast.«
    Alruna nickte und rang sich ein zuversichtliches Lächeln ab. Insgeheim aber war sie froh, dass die Pferde nun immer schneller liefen und die Bäume alsbald etwas lichter standen. Nie wieder würde sie sich von ihrer Farbenpracht und ihrem harzigen Duft täuschen lassen. Nie wieder eine kleine Gefälligkeit Richards mit ehrlichem Interesse und aufrichtiger Zuneigung verwechseln. Von heute an hasste sie den Wald.

 
F ÉCAMP
996
    Agnes war nicht sonderlich gut im Lesen, und zum ersten Mal bereute sie es, nicht mehr Geduld aufgebracht zu haben, es zu lernen. Es dauerte lange, bis sie die Pergamentrolle in ihren Händen entziffert hatte und sie sich schließlich der nächsten zuwenden konnte. Doch anstatt die Mühe zu lohnen und das Geheimnis zu entschlüsseln, brachte das, was Seite um Seite füllte, keine dunklen Flecken aus dem Leben der Gräfin ans Licht, sondern Ereignisse, die aller Welt bekannt waren.
    Nichts weiter hielt sie in den Händen als eine Chronik, ähnlich jener, die der Kanzler Dudo über den Grafen

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