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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Was hier zu lesen stand, war ganz und gar rätselhaft, doch ehe Agnes daraus schlau wurde, hörte sie Schritte.
    Verdammt!
    Sie biss sich auf die Lippen, um den Fluch nicht laut herauszuschreien, schlimm genug, dass sie das böse Wort überhaupt gedacht hatte. Das änderte allerdings nichts an ihrer verzweifelten Lage. Sie hatte zu lange gebraucht, um das Schriftstück zu entdecken, würde es nun nicht verstecken können, ja, würde nicht einmal in der Lage sein, den beiden Mönchen zu erklären, was sie in den Gemächern der Gräfin machte.
    Und es waren doch Bruder Remis und Bruder Ouens Schritte, die von den Wänden widerhallten?
    Genau betrachtet hörte es sich so an, als ginge da draußen nur einer, doch tröstlich war dieser Gedanke nicht. Wer immer es war, blieb vor der Tür stehen, wartete, schien nun selbst zu lauschen.
    Agnes hielt den Atem an, um kein Geräusch zu machen, aber ahnte, dass es nicht viel nützen würde. Hektisch blickte sie sich um. Sie könnte alle Pergamentrollen zusammenraffen und sich mit ihnen verstecken, vielleicht neben der Schlafstatt, unter dem Tisch oder gar in der Truhe, wo die Schriften verstaut gewesen waren. Doch während sie sich noch darum bemühte, so viele Rollen wie möglich an ihrer Brust zu bergen, hörte sie wieder die Schritte.
    Sie fuhr herum, keuchte vor Schreck.
    »Was machst du im Gemach meiner Mutter?«

V.
964
    Gunnora verharrte wie angewurzelt. Die Götter des Waldes, die manchmal bösartigen Elfen oder einfach nur der Zufall hatten sie zu Samos Haus geführt, einem Ort, an dem sie nie hatte Zuflucht finden wollen. Einem Ort vor allem, an dem ihre Schwestern lebten, die sie nicht in Gefahr bringen durfte. Dennoch – alles in ihr schrie, dass sie leben wollte, und Gunnora wog den Preis, den es dafür womöglich zu zahlen galt, nicht ab.
    Sie stürzte auf das Haus zu, wollte schon die Tür aufreißen, entschied sich dann aber doch anders und hastete zum Grubenhaus, dem kleinen Gebäude neben dem Wohnhaus, das als Vorratskammer diente. Es war nicht hoch genug, um aufrecht darin zu stehen, sodass sie sich gekrümmt inmitten von Töpfen, gefüllt mit Erbsen, Bohnen und Linsen, und unter ein Stück Pökelfleisch, das an einem Haken von der Decke hing, hockte. Durch die schmalen Ritzen zwischen den Holzbohlen starrte sie auf den Wald. Die Blätter wogten, von einem Pferd war nichts zu sehen.
    Hektisch atmete Gunnora ein und aus, und prompt stieg ihr der würzige Geruch des Fleisches in die Nase. Sie erinnerte sich an die einstige Flucht vor dem Mörder ihrer Eltern und daran, dass sie damals sicher gewesen war, niemals wieder etwas essen zu können. Nun ging es ihr ähnlich. Sie tastete nach dem Fleisch, nahm es vom Haken und ließ es auf den Boden fallen. Nicht länger glänzte es rötlich, sondern war jetzt braun von der Erde – salzig roch es immer noch. Danach griff sie nach dem Haken und zog daran. Sogleich bebte das ganze Grubenhaus, und sie hielt vor Schreck den Atem an.
    Kaum war das Knarzen verstummt, zog sie wieder an dem Haken, und dieses Mal löste er sich, ohne dass die Hütte über ihr zusammenzubrechen drohte. Als sie ihn betrachtete, war sie dennoch enttäuscht. Er war kleiner als erhofft und gewiss kein geeignetes Werkzeug, mit dem man jemanden töten konnte. Und töten wollte sie, wenn auch nicht ganz so brennend wie leben. Um sowohl das eine als auch das andere zu erreichen, hielt Gunnora trotz der Panik still, als die Blätter wieder wogten und ein Pferd durch den grünen Vorhang brach. Als der Reiter es verhielt, drehte es sich tänzelnd im Kreis.
    Der Christ sah sich um. Wo würde er zuerst nach ihr suchen? Und wie viel Blut vergießen, bis er sie fand?
    Gunnora schwor sich: Wenn eine der Schwestern ins Freie träte, würde sie sich opfern und sich vor sein Schwert werfen, aber solange sich im Haus nichts regte, wartete sie. Vielleicht war Seinfreda gar nicht da, sondern aufgebrochen, um sie zu besuchen, und vielleicht hatte sie die Schwestern mitgenommen. Hilde wiederum würde der Christ nichts tun, und falls doch, war es ihr gleich.
    Jetzt sprang er vom Pferd, stand ganz steif vor dem Haus und betrachtete es eine Weile, ehe er sich in den Schatten der Bäume zurückzog. Das Pferd folgte ihm kurze Zeit später, nachdem er einen durchdringenden Pfiff ausgestoßen hatte. Auch wenn sie ihn nicht mehr sah – Gunnora wusste, dass sie nicht in Sicherheit war, er vielmehr heimlich zu beobachten gedachte, wer hier lebte. Lediglich eine kurze Atempause

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