Meisterin der Runen
geschickt hat – einige von ihnen haben sich mit hiesigen Aufständischen verbündet. Sie unterwandern auch den Hof von Rouen. Sie … sie ist eine von ihnen.«
»Von wem, zum Teufel, sprichst du?« Jetzt lächelte er nicht mehr, jetzt schrie er.
»Es gibt ein Komplott gegen dich, und sie steht an der Spitze. Du musst entschlossen vorgehen – gegen sie, gegen die Heiden. Auch wenn die Dänen dir geholfen haben, deine Feinde in die Knie zu zwingen – du darfst nicht zögern. Zeigst du nur die geringste Schwäche, fallen deine Widersacher über dich her wie Raben über ein Stück Brot.«
Sie starrte ihn an, erwartete, dass er gebeugt und niedergeschlagen aussehen würde, sobald er die Wahrheit erfuhr, doch in seinem Gesicht stand der Ausdruck jenes verzagten Kindes geschrieben, das er einst gewesen war, als sein Vater starb, König Ludwig ihn als Geisel nahm und er abgeschnitten von allem, was ihm vertraut war, in Laon leben musste, verrückt vor Langeweile, Angst und Sehnsucht nach seiner Mutter Sprota – eine weise, bedächtig handelnde Frau. Vor allem war Sprota stark gewesen, stark wie Gunnora, doch während sie ihm stets eine Stütze gewesen war, nutzte Gunnora diese Stärke, um ihn zu belügen, zu betrügen, zu hintergehen, seinen Mord zu planen …
Er wandte sich ab, seine Schultern zitterten.
»Richard …«
Was ihr eigentlich auf den Lippen lag, brachte sie nicht hervor: Warum hast du sie so begehrt? Warum nach ihrer Gegenwart gelechzt? Was hat sie dir gegeben, was ich dir nicht hätte überreich zu Füßen legen können?
Ihr Triumphgefühl glich nur einem erbärmlichen Pflänzchen, alsbald ersoff es im Sumpf lang gehegter Bitterkeit. Sie stellte die Fragen, die ihr auf der Zunge brannten, nicht laut, sie kannte seine Antworten auch so: Weil sie nicht kichernd um mich gebuhlt hat wie die anderen Konkubinen. Weil sie sich mir nicht geschenkt hat wie du. Weil ihr Stolz ungebrochen ist und jeder Krieger von der scharfen Klinge eines Schwertes mehr fasziniert ist als von einem duftenden, bunten Blümchen, vor allem, wenn er oft genug erlebt hat, dass Leben und Tod an Ersterem hängen, nicht an Letzterem.
Er sagte immer noch nichts.
Sie schluckte. »Was wirst du nun tun?«
»Arfast …«
Erst stammelte er nur den Namen, dann einzelne Worte. »Suchen … festnehmen … einsperren … nicht töten … will mit ihr reden.«
Er wandte sich ihr immer noch nicht zu, doch sie trat zu ihm und umarmte ihn. Sein Beben ging auf ihren Körper über, und sie fühlte sich kalt und einsam wie er, aber zumindest stieß er sie nicht zurück.
»Keinen Laut, reißt euch zusammen!«
Gunnora blickte die Schwestern streng an. Obwohl Duvelina sichtlich zum Weinen zumute war, blieb sie stumm. Sie war schwerer geworden in den letzten Wochen, und Gunnora wusste nicht, wie lange sie diese Last noch schleppen konnte. Vor allem wusste sie nicht, wie lange sie noch unentdeckt bleiben würde. Sie schlich so leise wie möglich, doch in der Stille der Nacht hörte man jeden Schritt.
»Komm, nun komm schon!«
Wevias Augen waren so weit aufgerissen wie an dem Tag, als die Eltern starben.
Wie gern hätte sie ihnen das erspart! Wie gern sie in Frieden schlafen lassen! Doch nach dem, was geschehen war, war das unmöglich.
Endlich hatte Gunnora den Stall erreicht, hörte Tiere schnauben, aber keinen menschlichen Laut. Sie unterdrückte ein Seufzen. Wenn sie den jungen Mann, zu dem Gyrid sie geführt hatte und dem das Messer gehörte, nicht fand, saß sie hier in der Falle. Undenkbar, dass sie Rouen allein verlassen konnte.
Anstatt der Panik nachzugeben, schritt sie entschlossen von Pferd zu Pferd, und erreichte schließlich den Bretterverschlag, in dem die Stallknechte schliefen. Das hieß, einer schlief nicht, sondern erkannte sie und sprang auf.
»Hast du es getan?«
Sie schüttelte den Kopf. Als Duvelina aufschluchzte, schlug sie ihr hastig die Hand vor den Mund.
»Still!«, herrschte sie sie an. Sich an den Mann wendend flüsterte sie: »Richard hat von dem Komplott erfahren. Ich war gerade auf dem Weg zu ihm, als ich hörte, wie er einen seiner Krieger ausschickte, mich festzunehmen. Also habe ich meine Schwestern geweckt und bin geflohen. Mittlerweile wird gewiss überall nach mir gesucht. Du … du musst mich von hier fortbringen.«
Sie sah ihm die Enttäuschung an, jedoch auch Entsetzen. Wenn man von ihrem Vorhaben erfahren hatte, so wohl auch, welche Rolle er dabei spielte.
»Aber …«
»Bring mich zu deinem
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