Meisterin der Runen
seiner Frauen zu sich.
»Er verhält sich wie einst, als Emma starb«, klagte Arvid. »Gerade jetzt gilt es, so dringende Entscheidungen zu treffen. Die Dänen sind kaum mehr unter Kontrolle zu halten, er darf keine Schwäche zeigen!«
Alrunas Triumphgefühl wich grimmiger Entschlossenheit. Auch damals, nach Emmas Tod, hatte sie es geschafft, Richard aus der Lethargie zu reißen, warum sollte ihr das nicht auch jetzt gelingen?
Am Abend betrat sie das Turmzimmer, ließ sich nicht von ihm abwimmeln, sondern ging entschlossen auf ihn zu. Er hockte vor dem Kamin und ließ die Schultern hängen, auch dann noch, als sie ihn umarmte.
Lange blieb es still. »Ich konnte mit ihr … reden«, presste er schließlich hervor.
»Das kannst du mit mir auch.«
»Ich konnte mit ihr Schach spielen.«
»Das kannst du mit mir auch.«
»Ich konnte bei ihr Vergessen finden.«
Sie schluckte. »Das kannst du bei mir auch«, wiederholte sie heiser.
Er blickte hoch, starrte sie aus den glasigen Augen eines Betrunkenen an, öffnete den Mund, wohl um ihren Namen auszusprechen, aber schloss ihn wieder, ehe eine Silbe über seine Lippen kam. Ihr Name zählte nicht. Sie schien eine Fremde für ihn zu sein.
»Ich dachte, ich könnte ihr vertrauen«, flüsterte er hilflos.
»Du kannst niemandem vertrauen … oder zumindest nur sehr wenigen. Nur Raoul, deinem Bruder. Meinen Eltern. Mir. Arfast.«
Den letzten Namen sprach sie nur widerwillig aus. Sie wollte nicht an ihn denken, er hatte hier und heute keinen Platz.
Richard wandte sich von ihr ab und starrte wieder in die Flammen. Schatten tanzten auf seinem Gesicht, seine Züge schienen zu zerrinnen, als wären sie aus Wachs. Alruna wich zurück, dann rang sie mit sich, ob sie ihn erneut berühren sollte. Wenn er tatsächlich aus Wachs wäre, könnte ich ihn ganz neu formen, dachte sie. Hinterher würde ich ihn nicht wiedererkennen und er mich auch nicht. Zwei fremde Menschen wären wir, die nichts voneinander wüssten, die sich zum ersten Mal begegneten, die sich ganz behutsam lieben lernten.
Dies war ihre Stunde.
»Komm!«
Sie zog an seinem Arm, und widerwillig erhob er sich. Schon beim ersten Schritt schwankte er, obwohl sie ihn mit aller Macht stützte.
»Komm!«, sagte sie erneut, als er sich jäh versteifte.
»Damals, nach der großen Schlacht … als Rouen in die Hände der Feinde zu fallen drohte …«, stammelte er, »… damals habe ich dir versprochen, dass ich keine Frau je lieben werde. Ich habe das Versprechen gebrochen. Ich hasse … sie.«
Also hatte er doch nicht vergessen, wer Alruna war, sondern nur, dass es zwischen Liebe und Hass einen Unterschied gab. Aber vielleicht hatte er, obwohl er so betrunken war, recht, und beides war das Gleiche. Kein anderes Gefühl ging schließlich so tief.
»Vergiss sie!«, raunte Alruna, stellte sich auf ihre Zehenspitzen und küsste ihn.
Er schmeckte nach Wein, süß und säuerlich zugleich, herb und köstlich. Wie erhofft stieß er sie nicht zurück, doch als sie sich von ihm löste, suchte er auch ihre Nähe nicht, sondern begann zu stammeln.
»Als … mein Vater starb, war ich kaum mehr als ein Kind … aber ich durfte keines sein, sondern musste erwachsen werden … und das so schnell wie möglich. Wenn ich … mit Frauen zusammen war, dann wurde ich wieder jung … wieder ein Kind … ein Kind, das spielte … das scherzte.« Er atmete tief durch. »Nur an deiner Seite bin ich kein Kind. Und an ihrer war ich es auch nicht.«
Alruna runzelte die Stirn. Konnte es sein, dass sie etwas mit Gunnora gemein hatte? Sie wollte nicht darüber nachdenken. Ganz gleich, ob er alt oder jung war, ein Greis oder ein Kind, fröhlich oder tieftraurig, er war doch Richard, ihr Richard, der Mann, den sie immer gewollt hatte.
Sie zog erneut an seinem Arm, und dieses Mal folgte er ihr bis zu seiner Schlafstatt. Er sank darauf nieder, als wäre sein Körper nicht weich wie Wachs, sondern schwer wie ein Stein. Wie sollte sie diesen Stein zum Schmelzen bringen? Etwa mit neuen Küssen? Als viel zu machtlos erschienen ihr diese.
Sie kleidete sich aus, langsam, bedächtig, mit etwas Scham und noch mehr Neugier, wie er darauf reagierte. Er betrachtete sie, rührte sich aber nicht. Da begann sie, auch ihn auszukleiden, was schwieriger und mühseliger war und sie am Ende schwitzen ließ. Anders als befürchtet war er nicht kalt wie Stein, aber auch nicht weich wie Wachs. Er wehrte sich nicht, kam ihr jedoch auch nicht entgegen.
»Bitte …«,
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