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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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verrückte Entscheidung bedenkt, nach Amsterdam zu fliegen – die muss auch schon ein Teil des Traumes sein. Heißt das, dass ich einfach irgendwo in meinem Hotel in Berlin liege und schlafe? Aber warum dauert der Traum so lange? Warum wache ich nicht allmählich auf?
    „Er wacht auf“, bemerkte der Bauer, und als Gebhard Schlier wieder klar sehen konnte, war der Flur noch immer da, und drei Personen standen um ihn herum: Lentje, der Alte und eine Frau, ebenfalls recht alt, aber ausgesprochen füllig und groß. Sie überragte sogar Lentje, die auch keine Zwergin war.
    Enttäuschung machte sich in ihm breit. Enttäuschung darüber, dass er sich immer noch an diesem Ort befand.
    „Das mit den … mit den Wellensittichen“, begann er, und seine Zunge fühlte sich noch etwas schwammig an, „das ist ein Witz … ein uralter Witz …“
    „Das machen die ganz gern“, erklärte der Bauer.
    Seine Frau nickte. „Ja, das machen die ganz gern, die kleinen Racker.“
    „Ich wollt’s ihnen mal abgewöhnen. Wo das Benzin doch jetzt so teuer ist, nicht?“
    „Ach, lass ihnen doch ihren Spaß, Eike.“
    Gebhard sah die drei an: Eike, Antje, Lentje. Sah sie prüfend an, als sehe er sie zum ersten Mal. Eike und Antje blickten ernst, Lentje lächelte. Aber alle zusammen machten sie nicht den Eindruck, als würden sie kapieren wollen, was hier vorging.
    Aber kapierte er es denn?
    Die Blondine im Flugzeug, die mit ihrem Handy die Ladeklappen steuerte – ein Blondinenwitz. Die Benzin trinkenden Wellensittiche, die abstürzten, wenn ihnen der Treibstoff ausging – auch ein Witz. Aber beide Ereignisse auch bittere Realität.
    Und jetzt? Sollte er vielleicht lachen? Danach war es ihm von allen Emotionen am wenigsten. Blondine hin oder her, der Absturz war nicht witzig gewesen, sondern voll von Angst, voll von Toten, voll von Schmerzen. Dazu dieses verwesende Tier neben der Haustür (er roch es und hatte es die ganze Zeit über gerochen, sogar während seiner teilweisen Ohnmacht), das war auch nicht besonders spaßig.
    Und dieser Ort hier? Ostfriesland, wie Außenstehende es sich vorstellten. Abgelegen, trist, hinterwäldlerisch. Wann kam der erste Ostfriesenwitz? Eike und Antje wirkten tumb genug, um zu lächeln, wenn es blitzte, oder eine Glühbirne einzuschrauben, indem sie den Tisch drehten. Doch sie taten nichts davon.
    „Ich hab‘ Tee gemacht“, sagte Antje. Sie sprach sanft, als gelte es, ein Nervenbündel zu beruhigen.
    Lentje nahm die Frau in den Arm und drückte sie. „Danke“, hauchte sie. „Ihr seid so nett zu uns.“ Kam Gebhard diese Geste der Vertrautheit schon etwas befremdend vor, dann empfand er das, was Antje nun im Gegenzug tat, als vollkommen unpassend. Antje packte den Kopf der jungen Stewardess und drückte ihr ihre Lippen auf den Mund – es war kein kurzes Küsschen, sondern ein fetter, feuchter, schmatzender Kuss, der nach Fleisch und Speichel klang. Lentje ließ sich bereitwillig von der alten Bäuerin abknutschen, ohne sich zur Wehr zu setzen. Als Antje fertig war, taumelten sie beide feixend auseinander. Sogar Eike musste schmunzeln.
    Als sie sah, dass Gebhard das Gesicht verzog, klopfte Lentje ihm auf die Schulter und lachte: „Das muss dir nicht unangenehm sein. Das ist die friesische Herzlichkeit. Möchtest du auch ein … Bussi, oder wie ihr da unten dazu sagt?“
    „Danke, jetzt nicht“, beeilte sich der Professor abzulehnen. Er erhob sich von dem Stuhl, noch etwas wackelig. Himmel, wie er von hier wegwollte! Aber in seinem Zustand, an diesem fremden Ort, würde er nicht weit kommen. In einer halbe Stunde würde es stockfinster sein. Der Wagen – wie kam er nur an die Schlüssel zum Wagen? Er musste es ernsthaft versuchen, sondern verlor er noch den Verstand und die Menschen da draußen vielleicht ihr Leben?
    Die drei gingen wieder ins Haus, und er schwankte ihnen notgedrungen hinterher. Die Wellensittiche folgten ihnen. Auch sie gingen in Schlangenlinien wie Betrunkene. Offenbar waren sie noch nicht fit genug zum Fliegen, aber ernsten Schaden konnten sie nicht genommen haben. Er musste an die berühmte versteckte Kamera denken und begann schon, danach zu suchen. Verstand er Spaß? Es kam drauf an. Aber die Vögel waren echt, außerdem ließ man bei der ARD keine Flugzeuge abstürzen, um einen Literaturprofessor zu veräppeln. So etwas taten sie nicht, die Öffentlich-Rechtlichen.
    Wie in Trance saß er in einer weiß getünchten Bauernstube auf einer blau gepolsterten Bank, den

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