Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
sie davonfuhren und mich zurückließen. Mir war seltsam zumute, eine leichte Orientierungslosigkeit machte sich in mir breit. Die letzten Tage waren unglaublich anstrengend gewesen. Auf dem Weg zurück ins Haus beschloss ich, eine zweite Frühstücksrunde einzulegen mit Musik zur Entspannung und noch mehr Pfannkuchen, noch mehr Sirup. Ich brauchte Nervennahrung. Sorgfältig mischte ich Mehl mit einem Ei, goss langsam Milch hinzu und rührte den Teig. Doch meine Hand fand nicht den gewohnten Rhythmus, Klumpen bildeten sich. Meine Gedanken drehten sich um die Frage: wie konnte es sein, dass wir nicht gemerkt hatten, wie es um unsere Tochter stand, wie ernst die Lage war? Mitten in der Nacht wegzulaufen …! Waren wir so schlechte Eltern? Ich entsorgte den Pfannkuchenteig in den Mülleimer. Der Appetit war mir vergangen. Meine nächste Aufgabe lautete, wenn man es genau nahm: Lüge den Lehrer an. Was sollte ich bloß in die Entschuldigung schreiben? Machten wir uns nicht damit strafbar? Und das war noch längst nicht alles, fiel mir ein. Ich musste mich diese Woche für eines der Pflegeheime entscheiden und Mutter anmelden. Mutter sollte aus der Klinik entlassen werden, sobald ein Platz im Heim gefunden wäre. Und ich musste auch der Diakonie auf Sylt mitteilen, dass sie nicht mehr zurückkehren würde. Was auch bedeutete, dass ich in naher Zukunft ihre Wohnung auflösen musste.
Herrje!
Der Abgabetermin für die Illustrationen war überschritten, fiel mir ebenfalls ein. Oh, oh. Ich rührte einen neuen Pfannkuchenteig an und verdrängte das Wissen, wie meine eh schon runden Hüften auf so viel Pfannkuchenglück reagieren würden. Tja, die Hüften mussten eben auch mal ein Opfer bringen und meiner gebeutelten Psyche einen Teil der Last abnehmen. Als ich mich dann endlich an mein Tagwerk machte und mein Blick zufällig auf den Kalender fiel, traf mich fast der Schlag: Heute Nachmittag war der Kurs der Volkshochschule! Und ich hatte noch nichts vorbereitet.
Nochmal: Herrje!
Johanna will nach Sylt
„ Na, Mutter, was sagst du zu deinem Zimmer?“
Ich schob den Rollstuhl in den hellen, freundlichen Raum, machte eine weitausholende Armbewegung und schaute sie aufmunternd an. Der Ausblick in den Garten war wirklich schön. Am Horizont waren sonnengesegnete Weinberge zu sehen. Zwischen dem Pflegeheim und den Weinbergen lagen Gemüsefelder. Also alles grün, weit und breit. Ich fand es herrlich. Mutter aber verzog mürrisch ihr Gesicht.
„ Was hast du denn, tut dir was weh? Soll ich der Pflegerin Bescheid sagen, dass du eine Schmerztablette brauchst?“
„ Ich will keine Tablette. Ich will nach Hause ans Meer. Du hast doch versprochen, mich nach Hause zu bringen. Was soll ich denn hier im Hotel? Ich war doch schon so lange in dem anderen Hotel. Der Urlaub dauert schon viel zu lange.“
Ich seufzte innerlich und ermahnte mich, an das Prinzip der Validierung zu denken. Eine Pflegerin kam ins Zimmer, nachdem sie an die offenstehende Tür geklopft hatte. Sie hatte einen hübschen Blumenstrauß in der Hand.
„ Frau Fink, ich heiße Sie herzlich willkommen im Namen der Heimleitung. Wir freuen uns, dass Sie bei uns wohnen werden. Ich freue mich auch, Ihre Tochter kennenzulernen.“
Sie nickte mir freundlich zu und überreichte meiner Mutter die Blumen, plauderte ein wenig mit uns und ging dann eine Vase holen.
„ Wenn Ihre persönlichen Sachen erst hier sind, wird das Zimmer noch viel gemütlicher sein, Frau Fink. Die ersten Tage sind immer etwas schwierig, aber sicher werden Sie sich schnell bei uns eingewöhnen. Auf Station sind viele nette Leute. Ein neues Gesicht ist immer willkommen.“
Mutter meinte daraufhin, es müssten keine Sachen geholt werden, sie würde eh nur wenige Tage bleiben, bis ihre Tochter Zeit habe, sie nach Hause zu fahren. Ihre Melli müsse nur ein Auto finden, dass groß genug für den Rollstuhl sei.
„ Na schön, aber bis es soweit ist, werden wir alles tun, damit Sie sich hier wohl fühlen. Einverstanden? Möchten Sie heute Mittag im Zimmer oder im Gemeinschaftsraum essen, Frau Fink?“
Als ich mit dem Einräumen der Schränke fertig war und Mutter zum Essen abgeholt wurde, war es höchste Zeit für mich zu gehen. Ich versprach Mutter beim Abschied, bald wiederzukommen. Glücklicherweise kam der Bus wenige Minuten nachdem ich die Haltestelle erreichte. Ich löste ein Ticket beim Fahrer und ließ mich auf den nächstbesten Platz fallen. Robert und Miri waren immer noch
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