Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
es dein herrliches Haar, das das Glück anzieht? So schneide es ab, und du kannst ziehen. Oder sind es deine strahlenden Augen? Dein Lachen? Sag, auf welche Weise hast du deinem Volk und Land solchen Segen gebracht?“
Die Prinzessin verstand seine Fragen nicht. „Ich will nach draußen und dort spielen, bitte erlaubt mir, an die frische Luft zu gehen.“
„ Nun, vielleicht ist es auch dein fröhliches Spielen, welches das Glück anzieht. Wer weiß? Hauptmann! Er komme zu mir!“
Die Diener raunten von einem zum andern, der Hauptmann solle zum Fürsten kommen. Als dieser das hörte, eilte er herbei, erfreut über den Befehl. Alles war besser als das Schweigen seines Gebieters. So stürmte er in die Halle des Thrones und blinzelte. So viel Licht war seit acht Jahren nicht in diesen Räumen gewesen. Die Vorhänge waren weg! Wenn das kein Funken Glück war?
„ Mein Herr, wie lautet Euer Befehl für mich?“
„ Die kleine Dame will spielen. Draußen an der frischen Luft. Geht mit ihr und bewacht sie mit eurem Leben. Am Abend soll sie wieder ins Schloss gebracht werden.“
Und so kam es, dass Aurelia, denn das war der Name der Prinzessin, am Ende des Tages das Tor zum Garten entdeckte. „Öffnet dieses Tor für mich, Hauptmann“, verlangte das Kind. „Ich will sehen, was dahinter ist.“
Der Hauptmann, der wegen der Entführung ein schlechtes Gewissen hatte, mochte ihr die Bitte nicht abschlagen, wenngleich er damit das Gebot des Fürsten übertrat. Seit acht Jahren hatte niemand mehr den ummauerten Garten der Fürstin betreten. Doch so sehr er es auch versuchte, das Tor ließ sich nicht öffnen. Aber dann sah er ein Kätzchen, welches einer Maus nachjagte und beide verschwanden ein paar Schritte weiter unter der Mauer. Dort hatte der Frost von vielen Wintern das Mauerwerk beschädigt. Mit seinem Soldatenstiefel trat er fest dagegen und vergrößerte das Loch. Jauchzend schlüpfte Aurelia hindurch und verschwand im hohen Gras. „So wartet doch auf mich, kleine Prinzessin. Ich muss Euch vor allem beschützen!“ Doch so sehr er sich auch bemühte, der Rest der Mauer hielt stand. Der Mann war einfach zu groß und konnte ihr nicht in den Garten folgen. So blieb ihm nichts als zu warten und zu hoffen.
Aurelia fühlte sich in eine andere Welt versetzt. Hier war es so schön! Und so herrlich verwildert! Büsche mit roten und blauen Beeren, mit Blüten in vielen Farben, und Blumen, ach so viele Blumen! Richtige Meere in allen Farben des Regenbogens. Und erst die Bäume! Ach, und dort war gar ein Springbrunnen, doch sprudelte er nicht. Vergnügt lauschte sie dem Zirpen der Grillen und dem Zwitschern der vielen Vögel. Stunde um Stunde spielte sie. Am Brunnen war eine Sitzbank aus Stein. Smaragdgrünes Moos polsterte weich die Sitzfläche. Die kleine Prinzessin nahm dort selig Platz und vergaß für einige wundervolle Minuten, dass sie Opfer einer infamen Entführung war. Langsam sank die Sonne, sie verschwand gerade hinter der Mauer. Es wurde kühler und sie fröstelte nach einiger Zeit, denn ihren Wollumhang hatte sie beim Krabbeln durch das Loch in der Mauer verloren. Sie öffnete ihre Augen und atmete noch einmal tief ein und genoss die vielfältigen Düfte. Als sie sich anschickte, zum Hauptmann zurückzukehren, war ihr, als raschelte es im Farn hinter ihr. Rasch drehte sie sich um, doch da war nichts. Nur der Farn bebte ein wenig. Da sie auch hungrig war, eilte sie zum Ausgang und kroch wieder durch die Lücke im Mauerwerk. Der Hauptmann war heilfroh, sie unversehrt ins Schloss zurückbringen zu können. „Morgen will ich wieder dorthin“, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Von nun an verbrachte sie Tag für Tag trostreiche Stunden des Spiels und des Tagträumens im verwunschenen Garten. Vom Hauptmann, der ihr längst ein Freund und Beschützer geworden war, hatte sie sich Gartengerätschaften erbeten. Was er heimlich entwenden konnte, gab er ihr. Mit viel Liebe und Hingabe pflegte sie nun unermüdlich die Beete, befreite die duftenden Rosen von wuchernden Schlingpflanzen, lockerte die Erde und schnitt das Gras. Und jeden Tag raschelte es im Gebüsch. Längst hatte sie es gesehen, das kleine Pferd, nicht viel größer als ihre Hand. Geduldig, wie nur eine Sonnenprinzessin es sein kann, wartete sie darauf, dass es voller Vertrauen zu ihr kommen möge. Und schließlich war es soweit. Neugierig trabte es zu ihr und stupste sie an. Es wieherte fröhlich und scharrte mit seinen kleinen Hufen. Es war schneeweiß und
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