Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
mein kleines Reich, wo ich ins Meer der Fantasie eintauchte. Eine Kristallschale mit Wasser, einigen Tropfen Lavendelöl und frischen Blüten vervollständigte das Arrangement.
Ich wusste schon, wie das neue Märchen heißen sollte: „Das Märchen vom Lavendelpferd und dem Roseneinhorn“. Ja, das gefiel mir. Ich ließ vor meinem geistigen Auge Bilder entstehen, spielte mit ihnen, lauschte in mich hinein und nahm meine Gefühle dazu wahr. Langsam tauchten die ersten Personen auf. Ich sah ein kleines, goldiges Kind, das selig und selbstvergessen auf einer blühenden Wiese spielte. Als Gegenpart erschien ein sehr trauriger Mann, der umgeben war von Staub und Dunkelheit. Warum? Ich ließ mich auf diese Wesen ein, fühlte in sie hinein und ließ sie erzählen, lernte sie kennen … und dann „kam“ die Geschichte zu mir, wuchs heran und die Bilder wurden klarer. Jetzt musste ich nur noch zum Stift greifen und schreiben:
Es war einmal vor langer Zeit eine kleine Prinzessin, gar lieblich anzuschauen. Sie war des Königs Augenstern und das Herzblatt der Königin. Die Untertanen des Reiches lebten satt und zufrieden in ihren Dörfern und Städten, waren fleißig und ehrbar und litten nur selten Not. Die Natur bot reichlich Nahrung für den Körper und Schönheit fürs Gemüt.
Es hieß im Volksmund, die kleine Prinzessin mit dem goldenen Haar sei nicht nur schön wie die Sonne selbst, sondern sie wäre auch der Garant für des Volkes Wohlergehen, denn seit ihrer Geburt vor acht Jahren hatte es keine Überflutung, keine wilden Stürme und auch keine Dürren mehr gegeben. Volk und Regenten priesen ihr Glück und fühlten sich innerhalb der Grenzen ihres Landes so sicher, dass sie nicht mehr auf die umliegenden Nachbarländer achteten.
Und so kam es, dass sie nicht bemerkten, wie groß die Not und der Neid im kleinen Land hinter den schroffen Bergen im Westen war. Die Menschen dort hungerten oft, denn Dürre und Heuschrecken hatten ihre Ernte zu oft vernichtet. Wölfe und Vielfraße trieben ihr Unwesen und rissen immer wieder Schafe und Ziegen. Der Herrscher dieses Landes war ohne Weib, ohne Kind. Einsam und bitter war sein Leben im Schloss. Sein einziger Trost war der Garten gewesen, den seine Fürstin im Jahr bevor sie im Kindbett starb, angelegt hatte. Damals, als er noch lachen konnte. Damals, als sein Leben noch Sinn und Ziel hatte. Doch selbst der Garten verlor mit der Zeit seinen Reiz, und er verkümmerte ohne Pflege, denn der Fürst hatte allen verboten, ihn zu betreten und er trug den Schlüssel immer bei sich.
An dieser Stelle stoppte ich, denn ich fühlte jetzt selber Trauer. Ein verkümmerter, ungepflegter Garten, sein Zugang verschlossen … Es gab eine Parallele zwischen dem Fürsten und meinem Leben. Oder? Was war mir verschlossen? Bevor ich mich in Verlustgefühlen verlor, schrieb ich lieber weiter. In schlechter Stimmung konnte ich nicht schreiben, also zog ich mich da schnell wieder raus. Tz, tz … „sich in Verlustgefühlen verlieren“ – das war ja wohl doppelt gemoppelt. Also, weiter im Text, Melissa, forderte ich mich selber auf.
Sein Volk klagte und jammerte. Sie sprachen heimlich zueinander, der Fürst trage die Schuld am Elend allenthalben, denn seit Jahren blase er Trübsal. Immer größer wurde die Unzufriedenheit, immer lauter knurrten die leeren Mägen, so dass es klang, als lebten keine Menschen, sondern brummige Bären im Land. Eines Tages wurde ihre Wut so groß, ihre Verzweiflung so übermächtig, dass sie sich zusammenrotteten und am Schlosstor lauthals Einlass begehrten.
„ Der Fürst soll zu uns sprechen und sich nicht länger hinter schwarzen Fenstern verbergen! Er muss uns helfen, oder wir jagen ihn davon!“ Männer und Frauen drohten mit emporgereckten Heugabeln, Messern und Knüppeln und schrien gar laut. Alle Vögel im Umkreis des Schlosses flogen erschrocken auf und flatterten auf und davon.
Der Hauptmann der Wache eilte zum Kanzler und erstattete Bericht. Dieser rief nach dem Hofmagier und zu dritt eilten sie in den Thronsaal und verneigten sich tief vor ihrem Fürsten. „Herr, vergib uns die Störung, aber das Volk steht lärmend vor dem Tor und verlangt nach Euch.“
Der Fürst, dessen Augen so finster umschattet waren wie die großen Fenster von verstaubten, schwarzen Vorhängen verdunkelt, blickte auf und starrte den Kanzler, den Hofmagier und seinen Hauptmann verständnislos an. „Was will das Volk von mir? Es soll mich nicht in meiner Trauer stören. Weiß es
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