Melissas Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
bin mir sicher, dass sie trotz allem das Zeug zu einem Hauptschulabschluss hat. Ich würde es gern sehen, wenn sie noch ein Schuljahr dranhängen würde.“
Ich wischte die Krümel vom Tisch in meine Hand und betrachtete sie, als wären sie Runen, die mir den Sinn erklären könnten. Doch dieser Keks taugte offenbar nicht als Weisheitsvermittler und ich ließ mein Bröselwerk im Ausguss verschwinden. „Miris Veränderung begann, als sie anfing, sich mit dieser Beata abzugeben. Sie hat einen wirklich schlechten Einfluss auf mein Mädchen. Aber das allein kann es nicht sein, es kommt auch aus Miranda selbst heraus. Sie hat große Probleme entwickelt, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen und mitzuteilen. Oft streitet sie mit uns. Alles, was man sagt, ist falsch. Manchmal reicht schon ein Blick, ein einziges Wort, und sie geht ab wie eine Rakete. Wir sind mit unserem Latein am Ende.“
„ Nun, ich mache Ihnen einen Vorschlag, Frau Winter. Das ist nicht ganz astrein, was ich vorschlage, aber Miranda soll ihre Chance bekommen. Ich schlage vor, ich akzeptiere das Entschuldigungsschreiben als echt, wider besseres Wissen, und ihm Gegenzug sorgen Sie dafür, dass Miranda ab Montag wieder zur Schule geht. Tag für Tag, bis zum Beginn der Sommerferien. Und ich bestehe darauf, dass Sie entweder beim Schulpsychologen einen Termin machen, oder bei einem Berater Ihrer Wahl. Das kann so nicht weitergehen.“
Erleichtert stimmte ich zu. Wenn doch nur alle Lehrer an dieser Schule so wie Herr Reimann wären! „Ich verspreche Ihnen, dass ich meine Tochter persönlich zur Schule fahren werde und auch wieder abhole. Die ganze Woche bis zu den Ferien. Und wir werden uns um professionelle Hilfe bemühen.“ Als er das Haus verließ, rief ich ihm meinen aufrichtigen Dank hinterher und nahm dann einen Berg Trostkekse mit zu meinem Korbsessel. Geräuschvoll aß ich einen nach dem anderen und starrte finster vor mich hin. Gern hätte ich am Märchen weitergeschrieben, aber der Fürst hüllte sich immer noch in Schweigen.
Am späten Abend war Miri immer noch nicht zuhause. Es war schon dunkel, und ich war gleichermaßen besorgt wie verärgert. Robert hatte sich vor einer Stunde ins Auto gesetzt und fuhr die Gegend ab. Mit etwas Glück würde er sie unterwegs aufgabeln. Warum war sie so rücksichtslos? Ihr musste doch klar sein, dass wir uns sorgen würden. So lange wegzubleiben und nicht Bescheid zu sagen! Wozu hatte sie ein Handy? Oder war der Akku wieder leer? Oder war ihr etwas passiert? Sollte ich das Krankenhaus anrufen, ob ein junges, bewusstloses Mädchen eingeliefert worden war? Als ich zum Telefon griff, legte Hannah ihre Hand auf meine.
„ Mama, nicht schon wieder Papa anrufen. Der meldet sich von allein, sobald er Miri gefunden hat.“
„ Nicht Papa, ich will im Krankenhaus nachfragen. Oder am besten bei der Polizei. Vielleicht gab es einen Unfall!“
„ Ach was, sie wird sich herumtreiben. Du weißt doch, wie sie ist. Ausgerechnet jetzt muss sie wieder Zicken machen. Morgen früh muss ich zum Bahnhof und man sollte doch meinen, dass sie wenigstens so viel Anstand besitzt, ihre große Schwester zu verabschieden, wenn sie auszieht.“
„ Na gut, ich warte noch etwas mit dem Anruf. Aber nicht mehr lange. Hast du auch wirklich alles eingepackt, was du brauchst? Jaaa, schon gut, guck nicht so genervt. Ich bemuttere dich schon wieder. Ich weiß, ich weiß …“
Ich ging in die Küche und braute mir einen Kräutertee auf. Ich nahm Zitronenmelisse, etwas Kamille, Himbeerblätter, Ringelblume und ein wenig Lavendel und Rose. Eine eigenwillige Zusammenstellung, aber gut. Gut für mich. Ich trug die dampfende Tasse mit dem hübschen Deckel vorsichtig zum Korbsessel im Wohnzimmer, stellte sie auf den kleinen Tisch und setzte mich. Der Tee musste noch eine Weile ziehen. Da erinnerte ich mich daran, dass ich längst Onkel Walther hatte anrufen wollen. Doch das musste nun warten. Ich machte eine Notiz im Kalender, der auf dem Tisch inmitten von diversen Papieren lag, die ich noch abheften musste. Ich notierte Walther und machte ein dickes Ausrufezeichen dahinter. Im Geiste legte ich mir für Miri eine Standpauke zurecht. Mit aller gebotenen Strenge würde ich ihr vor Augen führen, was ihr Verhalten anrichtete. Während ich den Tee in kleinen Schlucken trank, malte ich mir ihr Gesicht aus, wenn ich sie mit dem Schulschwänzen konfrontieren würde und mit dem unterlassenen Gespräch mit der Lehrerin. Alles Lüge! Wir hatten
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