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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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weder Namen noch Ursache wußte.
    Der Fremde betrachtete die vor ihm niedergebeugte Gestalt mit einem Blick, den außer ihr noch kein Sterblicher zu ertragen vermocht hatte, ohne nicht alsbald ein tödliches Erschrecken zu empfinden. Doch dieser Blick schien in dem Opfer eine nur noch tiefere Opferbereitschaft hervorzurufen. Mag sein, daß sich diesem Blick auch ein Ausdruck unwillkürlichen Erschreckens beigesellte, da nunmehr dies holde Wesen vor seinem in die eigene Seelenpein verstrickten Feind auf die Knie sank und ihn durch das stumme Flehen solcher Haltung zu beschwören schien, doch Mitleid mit sich selbst zu haben. Und indes ringsum die Blitze herabzuckten – der Erdboden unter des Mädchens zarten, weißen Füßen erbebte –, und sämtliche Elemente sich zur Zerstörung alles Lebendigen verschworen zu haben schienen, schienen die Gefühle der liebenden Inderin einzig und allein auf das Objekt dieser unverdienten Anbetung gerichtet zu sein. Sie preßte ihre bleichen Lippen auf die Hand des Fremden und war bemüht, einige Worte zu sprechen. Und obschon die Stimme ihr versagte, sprachen doch ihre Tränen beredt genug zu der Hand in ihren Händen, so daß dies stumme Flehen seine Antwort fand in dem sekundenlangen krampfhaften Gegendruck, jedoch nur um sich alsbald zurückgestoßen zu fühlen.
    Bestürzt verharrte die Inderin in ihrer demütigen Haltung. ›Soll ich‹, sagte der Fremde mit schwankender Stimme, ›soll ich dir die Empfindungen schildern, mit welchen meine Gegenwart dich erfüllen sollte?‹
    ›Nein – nein – nein‹, erwiderte die Inderin und hielt sich die Ohren zu mit den weißen, zarten Händen, welche sie danach vor der Brust faltete. ›Ich fühle dies alles ja viel zu sehr.‹
    ›So hasse mich denn – verfluche mich!‹ rief, ihrer Antwort nicht achtend, der Fremde und stampfte den Boden so lange, bis der Widerhall mit dem Donner draußen wetteiferte. ›Hasse mich, dieweil auch ich dich hasse, – so wie ich alles Lebendige hasse, – und alles Tote, so haßerfüllt und gehaßt wie ich bin!‹
    ›Nicht von mir‹, sagte die arme Inderin und tastete, blind vor Tränen, nach der ihr entzogenen Hand.
    ›O ja, – auch von dir, wenn du erst wüßtest, wem ich gehöre und wem ich diene!‹
    Immalee nahm all ihre erneut angestachelten Energien sowohl des Herzens als auch des Geistes zusammen, um diesem Anruf zu begegnen. ›Wer du bist, ich weiß es nicht – ich aber bin dein. – Wem du dienst, ich weiß es nicht – aber auch ich will ihm dienen, – ich will dir gehören auf alle Zeit. Und wenn du willst, verlaß mich, und bin ich tot, so kehr zurück auf dies Eiland und sprich zu dir: Die Rosen haben geblüht und sind nun dahin, – die Flüsse haben Wasser geführt und sind nun versiegt, – die Felsen sind von ihrem Platz gerückt worden, – die Lichter des Himmels gehen einen anderen Gang, – nur eine hat es gegeben, die sich nicht verändert hat – und sie ist nicht hier.‹
    ›So hör mich denn an, armseliges Geschöpf!‹ rief der Fremde in einem Tone, drin sich Mitleid und ungewollte Sanftheit mit der Bosheit und der profunden Menschenfeindschaft paarten, die ihm zu eigen war. ›So hör mich an! Ich kenne dein verschwiegenes Geheimnis weit besser als dein Herz es kennen kann, darin dir dies Gefühl beschlossen liegt. So unterdrück, verbann es, tilg es aus! Zertritt es, wie die Schlange du zerträtest, solang sie klein ist, noch nicht ekelhaft dem Auge, noch nicht giftig deinem Leben!‹
    ›Ich habe in meinem Leben noch kein Geschöpf zertreten, auch keine Schlangenbrut‹, versetzte Immalee, nicht wissend, daß diese buchstäblich gemeinte Antwort auch im übertragenen Sinne verstanden werden konnte.
    ›So liebst du also‹, sprach der Fremde. ›Aber‹, so setzte er nach unheilvollem Schweigen hinzu ›weißt du auch wirklich, wen du liebst?‹
    ›Dich!‹ rief Immalee mit jener reinen Wahrhaftigkeit aus, welche noch den Antrieb heiligt, aus dem sie kommt, und sich aller Künstlichkeit stärker schämen würde als des natürlichen Vertrauens. ›Dich, der du mich gelehrt hast, zu denken, zu fühlen und zu weinen!‹
    ›Und dafür liebst du mich?‹ frug ihr Gefährte mit einem Ausdruck, drin die Ironie sich mit dem Mitleid paarte. ›Denk doch nach, nur einen Augenblick, wie ungeeignet, wie unwert das Objekt ist, welches du so reich mit deiner Liebe überschüttest: ein Wesen, unansehnlich von Gestalt, abstoßend von Verhalten, und getrennt von allem Leben,

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