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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Ohr drangen:
    ›Die Nacht ist so dunkel geworden, – was aber ist alle Nacht gegen die Finsternis, welche sein Fortgehn über meine Seele gebracht hat? Vom Licht der Blitze leuchtet rings der Himmel, – was aber ist ihr Leuchten gegen den Strahl seiner Augen, da er im Bösen von mir schied?
    Woraus ich lebte, es war das Licht seines Hierseins, – wie sollte ich nicht sterben, da dies Licht von mir gegangen ist? Oh, Zorn der Wolken, was hätte ich von euch zu fürchten? Zu Asche möget ihr mich verbrennen, so wie ihr zu Asche verbrannt habt das Astwerk der ewigen Bäume, – doch die Stämme, sie sind ja geblieben, und auch mein Herz, ihm wird es gehören für immer!
    Immer brause heran, du furchtbarer Ozean! Deine Wogen, ich kann sie nicht zählen, sie aber können sein Bild mir nimmer aus der Seele waschen, – mit Tausenden Wogen stürmst du gegen den Fels, und dennoch bleibt er unerschüttert, – und auch mein Herz soll mir nicht zittern inmitten des Unheils jener Welt, mit welcher er mich bedroht, – und deren Gefahren für ihn ich auf mich nehmen will.‹
    Sie hielt in ihrem ungestümen Gesang inne, hub aber, ohne auf das Toben der Elemente und der Gegenwart eines zu achten, dessen subtile und vernichtende Gewalt verderblicher war als das vereinte Wüten aller Naturkräfte, von neuem an.
    ›Als ich ihn das erste Mal erblickte, war mir der Busen mit Rosen verhüllt, – nun aber schatten darauf die dunklen Blätter des Ocynum. Da ich ihn das erste Mal erblickte, war jedes Lebewesen mir in Liebe zugetan, nun aber gilt es mir gleich, ob sie mich lieben oder nicht, ich habe ihrer vergessen. Da er dies Eiland besuchte in jener Nacht, so hoffte ich, daß der Mond uns leuchten werde, – nun aber ist es mir gleich, ob dieser Mond auf- oder untergeht, ob er in Reinheit erstrahlt oder ob Wolken ihn verhüllen. Und da ich noch einsam hier lebte, wurde ich von jedem Ding geliebt, und der Dinge um mich waren mehr als Haare auf meinem Haupt, – nun aber kann ich bloß einen noch lieben, und dieser eine hat mich verlassen! Seit ich ihn gesehen, haben all die Dinge sich gewandelt. Die Blumen haben an Farbe verloren, – das Fließen des Wassers tönt mir nicht länger im Ohr, – die Sterne, nun lächeln sie nimmer hernieder auf mich, – und mir selber will scheinen, ich liebte jetzt lieber den Sturm denn die Stille.‹
    Mit Beendigung ihrer traurig-schönen Weise wollte sie jenen felsigen Ort verlassen, an welchem weiterhin auszuharren ihr die zunehmende Wut des Sturmes unmöglich machte. Sie wandte sich um – und erblickte den Fremden, welcher sie wie gebannt anstarrte. Alsbald überzog eine tiefe Röte sie vom Scheitel bis zum Busen. Nicht wie sonst stieß sie beim Anblick ihres Gastes einen Freudenruf aus, sondern folgte ihm abgewandten Blicks und strauchelnden Fußes auf dem Wege zu den Überresten der Tempelpagode, darunter Schutz zu suchen er ihr wortlos bedeutet hatte. Immalee hätte ja viel lieber den gewohnten Schutz und Schirm ihres Lieblingsbaumes aufgesucht, doch der Fremde hatte ihr vor Augen gehalten, daß sie dort in weit größerer Gefahr schweben würde als an dem von ihm vorgeschlagenen Ort.
    ›Gefahr!‹ versetzte die Inderin, wobei ein strahlendes, ungebärdiges Lächeln ihre Züge erhellte. ›Wie könnte, wenn du bei mir bist, irgendwelche Gefahr drohen?‹
    ›Ist denn nicht meine bloße Gegenwart schon Gefahr?‹ Des Sprechers Antlitz wurde bei diesen Worten finsterer als der Himmel, zu dem er so düster emporblickte. ›Hätte ich die Macht, den Elementen zu gebieten‹, so fuhr er fort ›ich schwör’s bei jenem Himmel, die erste meiner Taten sollte sein, den raschesten und tödlichsten der Blitze, die uns hier rings umzucken, auf die zu lenken und dich jetzt und hier von seinem Strahl durchbohren zu lassen!‹
    ›Mich?‹ fragte erschaudernd die Inderin, welche bei dem Ton, in dem diese Worte hervorgestoßen worden, tief erbleichte.
    ›Ja wohl – dich, – dich, – in all deiner Lieblichkeit und Unschuld und Keuschheit, noch ehe ein viel tödlicheres Feuer dein Leben verzehrt und das Blut deines Herzens trinkt, – und noch ehe du länger einer Gefahr ausgesetzt bleibst, welche wohl tausendmal verderblicher ist als jene, mit welcher alle Elemente dich bedrohen, – der Gefahr meiner verfluchten Gegenwart!‹
    Immalee, in leidenschaftlichem Kummer erzitternd ob der Aufgewühltheit, mit welcher der Fremde dies gerufen hatte, trat auf ihn zu, um jene Erregung zu sänftigen, dafür sie

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