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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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gewachsen wären, – die ausgeglühten Felsen, welche vulkanischen Ursprunges waren, und das unablässige Heranrauschen des Meeres, dessen Wellen ihren kleinen Fuß fast überspülten, wie er da in so achtlosem Wagnis die Gefahr herauszufordern und dennoch zu mißachten schien – dies war alles, was unsere Inselschöne hier umgab.
    Der Abend war voll schwerer Düsternis. Unheilschwangeres Gewölk, heraufziehend wie die Haufen eines feindlichen Heerbanns, verfinsterte den Horizont von Aufgang nach Niedergang. Kein Lufthauch belebte den Ozean. Die Bäume, von der ungeheuren Stille erschlafft, ließen Zweige wie Blätterwerk reglos herabhängen. Kein Vogel war zu sehen, – sie hatten sich alle verkrochen, geleitet von jenem Naturtrieb, welcher sie gelehrt hat, dem Toben des Elements aus dem Wege zu gehen. Jetzt saßen sie, mit unter den Schwingen verborgenen Köpfen, im Gezweig ihrer Nistbäume. Kein menschlicher Laut war auf dem Eiland vernehmbar. Noch das dürftige Rinnsal des Baches schien über das eigene Geriesel zu erschrecken und floß so langsam dahin, als würde es von einer unterirdischen Hand am Grund festgehalten.
    Immalee blickte starr auf die furchteinflößende Szenerie, von welcher sie umdroht war, doch blieb sie unberührt von aller Erregung, wie sie uns angesichts solcher Naturerscheinungen zu überkommen pflegt.   Ihr waren ja bisher das Licht wie das Dunkel eins gewesen. Sie liebte die Sonne um ihres Glanzes willen, den Blitzstrahl wegen seiner durchdringenden Leuchtkraft und den gewaltigen Ozean für dessen alles übertönenden Gesang. Den Aufruhr der Lüfte aber liebte sie um der Bewegung willen, mit welcher er die Bäume erfüllte, unter deren wie in unbändigem Willkommenstanz zerstiebenden Schatten sie ebenso unbändig tanzte, im rauschenden Rhythmus des unterm Sturm sich biegenden, tief herabgeneigten Laubwerks, welches seine Anbeterin mit einem Diadem aus Blättern krönen zu wollen schien. Und sie liebte das Dunkel der Nacht, wenn alles in tiefer Lautlosigkeit schlummerte, jenes Dunkel, das sie die Musik der tausend Ströme zu nennen pflegte, welche die Sterne aus ihren Betten aufscheuchte, damit diese zu jener maßlosen Weise ihren funkelnden Reigen begännen.
    So war es bisher gewesen. Jetzt aber starrte sie wie gebannt in das schwindende Licht und die heraufkommende Dunkelheit, – in jenes übernatürliche Glühen der Finsternis, welches noch zu den herrlichsten und anmutigsten Schöpfungen Gottes zu sagen scheint: ›Gib Raum, – du sollst nicht länger leuchten.‹
    Der Himmel verdüsterte sich jetzt zusehends, und das Gewölk hatte sich nunmehr wie ein Heerbann gesammelt, welcher seine größte Kampfesstärke gegen das schwindende Licht aufgeboten, dem diese Streitmacht der Finsternis nun angriffsbereit gegenüberstand. Eine sich weithin erstreckende, in rötlichem Dämmerlicht glosende Linie nahm den gesamten Horizont ein und wetterleuchtete von all der fernen, fahl und schweflig aufzuckenden Himmelselektrizität. Das Brausen des Meeres hatte zugenommen, und die Laubarkaden jenes uralten Feigenbaums, der seine patriarchalischen Wurzeln keine fünfhundert Schritt von dem Ort, den Immalee zu ihrem Platz gewählt, in den Boden geschlagen, antworteten dem Rauschen der See mit den tiefen, unirdischen Lauten des aufkommenden Sturms, welcher des Baumriesen weitläufige Kolonnaden durchharfte. Der urtümliche, knorrige Stamm erbebte in ächzendem Schwanken, während seine durch die Zeiten dauernden Wurzelstränge ihren in den Erdboden verkrallten Griff zu lockern schienen und in dem brausend heranfegenden Luftstrom erzitterten.
    Der Fremde kam unbemerkt näher. Seine Schritte waren in dem Brausen des Ozeans und in all dem tiefen, drohenden Dröhnen der Elemente nicht zu vernehmen. Er selbst jedoch vernahm im Näherkommen Worte, welche auf ihn wirken möchten wie einstmals das Geflüster der Eva, da sie zu den Blumen des Paradieses gesprochen, auf die Sinne der Schlange gewirkt haben muß. Beide wußten sie um ihre Kräfte, und beide fühlten sie, daß ihre Zeit gekommen war. Und inmitten der heranbrausenden Schrecknisse eines Orkans, welche weit fürchterlicher waren als dies Mädchen sie jemals erblickt hatte, sang die arme Inderin, unkundig all der Gefahren, ja dieselben vielleicht gar nicht empfindend, ihre wilde verzweiflungsvolle Liebesklage hinaus in das Echo des dahinrasenden Sturms. Und eben jene Klänge der Verzweiflung und der Leidenschaft waren es, welche nun an des Fremden

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