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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Gestalt erregt wurde, welche in der Mode des Landes gekleidet war (bloß einen Degen trug sie nicht) und ganz besonders gemächlich dahinschlenderte. Unsere Kavaliere verhielten wie auf Kommando fast gleichzeitig den Schritt und schienen, indem sie schweigend Blicke tauschten, einander zu fragen, was denn nun eigentlich in der Erscheinung jenes Fremden sie so eigentümlich beeindruckt habe. Seiner Gestalt haftete ja nichts Bemerkenswertes an, – und so konnte es wohl nur der einzigartige Gesichtsausdruck gewesen sein, welcher in den Beobachtern eine Empfindung hervorgerufen hatte, die sie weder zu erklären noch in Worte zu kleiden vermochten.
    Da sie noch so unschlüssig verharrten, kam jene Gestalt ganz allein und im langsamen Schlenderschritt wieder zurück, so daß unsere Spaziergänger erneut jenem einzigartigen Ausdruck (welcher vor allem von den Augen ausging) begegneten, den kein Mensch ertragen konnte, ohne im Innersten zu erschaudern. Die Augen jenes Fremden hatten ja, weil sie daran gewöhnt waren, mit allem und jedem Umgang zu pflegen, was der Natur entgegengesetzt und dem Menschentum widerwärtig ist, – also infolge des ewigen Durchforschens der Tollhäuser, der Kerkerzellen und der Inquisitionsverliese, und durch den Besuch der Elendshöhlen, der Löcher, in denen das Verbrechen hauste, sowie der Sterbelager, darauf die Verzweiflung sich wälzte, eine nur ihnen eigene, flammende Suggestionskraft und stumme Beredtheit erworben, ein düsteres Glosen, dem kein anderer Blick standzuhalten vermochte, und eine Sprache, welche kaum einer zu verstehen wagte.
    Als der Fremde so langsam an unseren Kavalieren vorüberstolzierte, gewahrten dieselben in einiger Entfernung zwei andere, deren Aufmerksamkeit offensichtlich durch den nämlichen, ungewöhnlichen Gegenstand geweckt worden war, weil auch sie innegehalten hatten, wobei sie mit Fingern auf den Dahin wandelnden zeigten und danach gestikulierend und in augenscheinlich heftiger Erregung aufeinander einredeten. So überwog denn alsbald die Neugierde in unserer Gruppe alle dem Spanier sonst eigentümliche Zurückhaltung, und man trat auf die beiden Kavaliere zu, um sie zu fragen, ob denn jene einzigartige Persönlichkeit, welche da soeben vorübergeschritten, der Gegenstand so angelegentlicher Unterhaltung, ja die Ursache der dieselbe so sichtbarlich begleitenden Erregung wäre. Die Angeredeten bejahten und ließen etwelche Andeutungen ob ihrer Kenntnis gewisser Umstände verlauten, welche im Zusammenhang mit der Wesensart und der Geschichte jenes Fremden stünden und dazu angetan seien, bei dessen Auftritt noch weit größere Anzeichen der Erregung hervorzurufen, als dies eben jetzt der Fall gewesen. Solcher Hinweis erregte die Wißbegier unserer Kavaliere in nur noch stärkerem Maße, und der Kreis der Zuhörer begann sich zu erweitern. Einige von ihnen hatten noch weitere Auskünfte zu dem ungewöhnlichen Gegenstand beizutragen, oder gaben dies zumindest vor. So ging diese plan- und zusammenhanglose Konversation recht munter dahin.
    ›Aber warum nur‹, frug einer ›wenn er wirklich das ist, als was man ihn hinstellt, oder als was er bekannt ist – warum nur wird er dann von den Behörden nicht festgenommen? – Warum setzt ihn die Heilige Inquisition nicht hinter Schloß und Riegel?‹
    ›Im Gefängnis des Heiligen Offiziums ist er schon oft gewesen – vielleicht öfter, als dies den Heiligen Patres lieb ist‹, erwiderte ein anderer. ›Indes, man weiß ja gut genug, daß er, was auch immer in jenen Verhören zutage gekommen sein mag, alsbald wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist.‹
    Und ein Dritter wußte dem hinzuzufügen, jener sonderbare Fremde habe ja schon in nahezu allen Gefängnissen Europas logiert, doch sei es ihm noch jedesmal gelungen, den Mächten, in deren Gewahrsam er sich so augenscheinlich befunden, Trotz zu bieten, ja sogar, dieselben zu überwinden, dergestalt in den entlegensten Teilen des Kontinents seinem düsteren Handwerk weiterhin nachgehend, und immer dann irgendwo auftauchend, wenn man ihn an ganz anderem Orte eingekerkert gewähnt.
    Ein Vierter suchte zu erfahren, ob denn bekannt sei, aus welchem Land der Unbekannte stammte? Er wurde belehrt, derselbe sei dem Hörensagen nach aus Irland gebürtig (einem Land, welches niemand kenne), und nenne sich Melmoth.
    Ein anderer, welcher mit mehr Verstand begabt zu sein schien als all die übrigen Schwätzer, warf den außergewöhnlichen Umstand der räumlichen Unabhängigkeit

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