Melmoth der Wanderer
nunmehr eine Dame gemacht hatte, in ungewöhnlich üble Laune versetzt hatte ›ich wundere mich, daß du dich niemals nach der Art unserer jungen Mädchen mit einer Nadelarbeit oder einer der sonstigen hübschen Kleinigkeiten, welche den Jungfrauen so wohl anstehen, zu beschäftigen suchst.‹
›Oder mit der Lektüre eines erbaulichen Buchs‹, ergänzte Donna Clara, wobei sie sekundenlang von ihrer Stickerei aufblickte, freilich nur, um sich derselben sogleich wieder zu widmen.
›Für nichts anderes hast du Augen als für die paar Blumen, oder aber du hängst über deiner Laute oder starrst in den Mond‹, setzte Fernan fort, über die erfolgreiche Spielweise seines Gegners und das Schweigen Isidoras gleichermaßen verärgert.
›Sie zeichnet sich vor allen anderen durch reichliches Almosengeben und viele Werke der Barmherzigkeit aus‹, meinte der gutmütige Gottesmann. ›Da wurde ich doch neulich in eine elendige Hütte nächst Eurem Landsitz gerufen, Madonna Clara, zu einem sterbenden Sünder, der auf seinem fauligen Stroh langsam verrottete.‹
›Grundgütiger Heiland‹, schrie Donna Clara in unwillkürlichem Entsetzen auf. ›Schon der Anblick eines Bettlers macht mich krank, seit ich im Vorsaal meines Elternhauses, auf meinen Knien liegend, in der Woche vor meiner Hochzeit mit dem hochehrenwerten Vater dieses Kindes, dreizehn Bettlern die Füße gewaschen habe!‹
›Ja, bisweilen hinterlassen derlei Erlebnisse in uns die unauslöschlichsten Spuren‹, räumte der Gottesmann trocken ein, um sogleich fortzufahren: ›Ich folgte also dem Rufe meiner Pflicht, allein, Eure Tochter war mir schon zuvorgekommen. Niemand hatte sie gerufen, und doch war sie da und las die süßesten Trostesworte von einer Predigtvorlage ab, welche ihr ein armer Priester, dessen Namen hier nichts zur Sache tut, aus seinem bescheidenen Besitz überlassen.‹
Isidora errötete ob solcher selbstgefälligen Diskretion, wogegen sie für Don Fernans Sticheleien nur ein sanftes Lächeln, für die Herzenshärte ihrer Mutter aber ein ebensolches Weinen übrig hatte.
›Schon bei meinem Eintritt in jene Elendsbehausung vernahm ich ihre Stimme. Und, bei der Kutte, die ich auf meinem Leibe trage, ich war vom Entzücken wie an die Schwelle genagelt. Ihre ersten Worte nämlich waren – Schachmatt!‹ rief er aus, seiner Predigtvorlage über solchem Triumph vergessend, indem er blitzenden Blickes und mit nachdrücklichem Finger auf die verzweifelte Position des gegnerischen Königs hinwies.
›In der Tat, ein recht ungewöhnlicher Ausruf!‹ sagte die alles so überaus wörtlich nehmende Donna Clara, den Blick nach wie vor auf ihre Arbeit geheftet ›und ich habe gedacht, die bei solchen Anlässen gebräuchlichen Worte wären pax vobiscum , oder ...‹
Indes, ehe der Pater José etwas darauf erwidern konnte, drang ein Aufschrei Isidorens in aller Ohren. Schon im nächsten Moment war dieselbe umringt von allen Anwesenden, zu denen sich, durch den ungewöhnlichen Alarm aus dem Vorraum herbeigerufen, vier Dienerinnen und zwei Pagen gesellt hatten. Doch Isidora war durchaus bei Sinnen: sprachlos und totenbleich stand sie inmitten der Versammelten und blickte von dem einen zum anderen, offensichtlich nicht imstande, all die wohlvertrauten Gesichter auch zu erkennen. Doch behielt sie jene Geistesgegenwart, über welche das Weib, sobald ein Herzensgeheimnis auf dem Spiel steht, allzeit gebietet, und so wies sie die anderen weder mit einer Handbewegung noch mit dem Blick auf das Fenster hin, in welchem die Ursache ihres Erschreckens sich gezeigt hatte. Unfähig, die tausend an sie gerichteten Fragen zu beantworten, lehnte sie sich, indem sie alle Hilfe von sich wies, gegen die Fensterbrüstung, welche ihr die einzig mögliche Stütze bot.
Schon trat Donna Clara gemessenen Schrittes herzu, um der Verstörten mit der kuriosen Essenz des aus dem unergründlichen Tiefen eines mütterlichen Handbeutels zutage geförderten Riechfläschchen auf die Beine zu helfen, als eine der Dienerinnen, der Gewohnheiten ihrer jungen Herrin gedenkend, den Vorschlag machte, man möge dieselbe durch den Duft jener Blumen, die das offene Fenster umrankten, wieder zu sich bringen. Dies gesagt, pflückte das Mädchen eine Handvoll Rosen und bot sie Isidora an. Der Anblick und der Duft so herrlicher Blüten beschworen in derselben alsbald die alten Erinnerungsbilder herauf, und so rief sie, indem sie ihrer Dienerin abwinkte, mit lauter Stimme aus: ›Ach! Welche Rosen
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