Melmoth der Wanderer
kämen denen gleich, die mich umgaben, als er mich zum erstenmal erblickte!‹
› Er? – Wen meinst du, o Tochter?‹ fragte die aufgeschreckte Donna Clara.
›Heraus mit der Sprache, Schwester, ich befehle es dir!‹ rief der reizbare Fernan. ›Von wem ist hier die Rede?‹
›Sie spricht ja im Fieberwahn‹, beschwichtigte der Gottesmann, dessen seelsorgerische Hellhörigkeit ihn hier ein Geheimnis wittern ließ, und dessen geistliche Habgier es einfach nicht zuließ, daß solcher Besitz auch nur von der leiblichen Mutter und dem leiblichen Bruder geteilt würde. ›Sie spricht im Fieberwahn – ich muß Euch tadeln – laßt ab davon, hier herumzustehen und in sie zu dringen! Madonna, begebt Euch zu Ruhe, und die Heiligen mögen über Euch wachen!‹
Isidora, ob solchen Gunstbeweises dankerfüllt das Haupt neigend, zog sich in ihre Gemächer zurück, dieweil der Pater José sich während der nächsten Stunde den Anschein gab, als kämpfte er gegen Donna Claras angstvollen Argwohn und Don Fernans verdrossene Reizbarkeit an, was er indes bloß zu dem Zweck tat, die beiden in der Hitze der Kontroverse all das, was sie wußten oder befürchteten, ausplaudern zu lassen, um mit dem dergestalt Enthüllten seine eigenen Mutmaßungen und somit auch seine Machtposition zu untermauern.
›Madonna‹, sprach jetzt der Pater ›Ihr betont doch beständig Euren Eifer im Dienste der Heiligen Katholischen Kirche, – und Ihr, Senor, erinnert mich unausgesetzt an Eure Familienehre. – Beides liegt mir nur zu sehr am Herzen. – Wie aber könnte der Vorteil beider besser wahrgenommen sein, denn durch Donna Isidoras Entschluß, den Schleier zu nehmen?‹
›Ihr sprecht meinen Herzenswunsch aus!‹ rief Donna Clara, indem sie die Hände faltete und die Augen schloß, als wohnte sie soeben der Apotheose ihrer Tochter bei.
›Davon will ich nichts gehört haben, hochwürdiger Vater!‹ rief da Don Fernan. ›Die Schönheit und der Reichtum meiner Schwester berechtigen mich dazu, auf eine Verbindung mit den vornehmsten Familien dieses Landes Anspruch zu erheben! – Jenen so sehr auf ihre Blaublütigkeit bedachten Pavianen mit ihren Säufervisagen wären solche Blutauffrischung nichts weniger denn abträglich, ja sie könnten ein weiteres Jahrhundert von solchem aurum potabile zehren.‹
›Was Ihr darüber vergeßt, mein Sohn‹, erwiderte unser Gottesmann ›das sind die außergewöhnlichen Umstände, welche die Jugendjahre Eurer Schwester überschatten. Nicht weniger unserer rechtgläubigen Nobilitäten würden ja lieber das schwärzliche Blut der verjagten Mauren, ja sogar jenes der geächteten Jüden in den Adern ihrer Nachkommenschaft fließen sehen, als das Blut eines, der da ...‹
Das heimliche Geflüster, womit der Sprecher seine Rede weiterführte, ließ Donna Clara vor Seelenpein und Bestürzung erschaudern, wogegen es ihren Sohn zu einer ärgerlich-ungläubigen Geste veranlaßte.
›Ich glaube kein einziges Wort von alledem‹, erwiderte er. ›Ihr wünscht ja lediglich, daß meine Schwester den Schleier nehme, und solcher Wunsch läßt Euch diese ungeheuerliche Erfindung, auf welche Ihr soeben angespielt, nicht nur glauben, sondern auch noch verbreiten.‹
›Wahre deine Zunge, mein Sohn, ich beschwöre dich‹, sagte die erbebende Donna Clara.
›Wahrt lieber die Eure, Frau Mutter, auf daß Ihr nicht Eure Tochter einem ebenso unbegründeten wie unglaubhaften Gerücht aufopfert!‹
›Einem Gerücht!‹ wiederholt der Pater José. ›Senor, ich will Euch, soweit es mich betrifft, solch ungehörige Erwägungen vergeben – doch darf ich Euch daran erinnern, daß solche Nachsicht dort aufhören muß, wo der Katholische Glaube beleidigt wird.‹
›Hochwürdiger Vater‹, versetzte der erschrockene Fernan ›die Heilige Katholische Kirche hat auf Erden ganz gewiß keinen ergebeneren und unwürdigeren Bekenner als mich!‹
›Dies letztere bezweifle ich nicht‹, antwortete der Gottesmann. ›Ihr gebt also zu, daß alles, was die Heilige Kirche lehrt, unumstößliche Wahrheit ist?‹
›Dessen könnt Ihr unbesorgt versichert sein.‹
›So müßt Ihr auch zugeben, daß die Inseln, die im Indischen Ozean liegen, dem Einfluß des Teufels in ganz besonderem Maße unterworfen sind!‹
›Da die Heilige Kirche es sagt, so will ich auch dies glauben.‹
›Und ferner, daß er eine ganz besondere Macht über jenes eine Eiland besitzt, darauf Eure Schwester in früher Kindheit verschlagen wurde?‹
›Ich kann
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