Melmoth der Wanderer
Blitz durchbohrte, so daß dir unverweilt die Sinne schwanden, als hätte seine Hitze dich verzehrt. Jawohl, den du gesehen – es war ich , der dich aus jenem Inselparadiese, aus jenem Engelsdasein aufgestört: als Jäger deine Schönheit Schritt für Schritt verfolgend bis hierher in diesen Garten und seine kunstvoll angelegte Wirrnis, die wahrlich jenem falschen Leben gleicht, dem du so leichtlich dich ans Herz geworfen.‹
›Ans Herz geworfen? Nimmermehr! Sie haben mich ergriffen, – mich hierhergeschleppt, – mich zur Christin gemacht. Und alles, so sagten sie, geschähe bloß um meiner Errettung willen, – für mein zeitliches und ewiges Heil. Und ich kann nur hoffen, daß dem so ist, weil ich mich seit meiner Taufe in einem so elenden Zustand befinde, daß mir dies Leid wohl im anderen Leben mit eitel Glückseligkeit vergolten werden muß.‹
›Glückseligkeit‹, äffte der Fremde sie nach, indem er voll Hohn die Zähne bleckte. ›Bist du denn nicht schon hienieden glückselig genug? Die Zartheit deiner herrlichen Gestalt ist ja nicht länger nun dem Wüten der Elemente ausgesetzt, – die erlesene weibliche Pracht, in die du dich schon ehedem gehüllt, nun wird sie ja verfeinert und gesteigert durch all die tausend Künstlichkeiten deiner jetzigen Umgebung! Und eines vor allem: bist du nicht nunmehr von denkenden Wesen umgeben, deren gebildete Rede dir andere Kurzweil beschert als das Gezwitscher des Loxia-Vogels und das Geschnatter der Affen?‹
›Die Reden, die ich hier anhören muß, scheinen mir weder verständiger noch bedeutsamer zu sein als ein Affengeschnatter‹, murmelte Isidora.
›So schäme dich denn‹, höhnte der Fremde, ›schäme dich deiner Undankbarkeit und deines Wankelmuts! Weißt du denn nicht mehr, wie du damals vom Strand deiner Insel der Andachtsübungen jener Christen ansichtig geworden, und wie dieser Anblick dich begeistert hat?‹
In Tränen ausbrechend, bekannte Isidora, sie habe im Christentum nicht das gefunden, was sie sich damals davon versprochen hatte. Doch schon im nächsten Moment machte sie sich in all ihrem ungewöhnlichen Freimut die bittersten Vorwürfe und fügte hinzu: ›Ich stehe dieser neuen Welt ja so ahnungslos gegenüber, – ich muß noch viel lernen, – nur zu oft lasse ich mich ja vom bloßen Augenschein täuschen, – und meine Gewohnheiten und Wahrnehmungen weichen so sehr von allem ab, was recht und billig ist – will sagen von der Art all derer, die mich hier umgeben –, daß ich wohl nur das reden oder denken sollte, was man mich hier gelehrt hat. Vielleicht werden mir dann, nach manchem Jahr der Unterweisung und des Erduldens, die Augen dafür geöffnet, daß es das Glück in dieser neuen Welt nicht geben kann , und daß die katholische Lehre von dem echten Christentum gar nicht so weit entfernt ist, wie mir dies jetzt noch scheinen will.‹
›Und hast du dich denn wirklich nicht glücklich gefühlt in dieser neuen Welt des Denkens und Wohllebens?‹ fragte Melmoth mit ungewöhnlich sanfter Stimme.
»Bisweilen schon.‹
›Und wann?‹
›Wenn des Tages Müh’ und Plag’ vorüber war, und ich auf Traumes Schwingen heimgetragen wurde zu jenem Eiland meiner Verzauberung. Denn der Schlaf ist mir eine von schemenhaften Schiffern geruderte Barke, die mich zu den Ufern der Anmut und der Glückseligkeit trägt, – und all die Nächte hindurch ist es mir wohl im Reiche der Geister. Aufs neue wandle ich unter Blumen und Düften, die rieselnden Bäche und die säuselnden Winde singen mir ihr tausendstimmiges Lied, die Lüfte sind belebt und tönen mit den Stimmen der unsichtbaren Sänger. So schreite ich dahin inmitten einer von Leben erfüllten Atemluft, darin noch das Leblose beseelt ist von Liebe, die Blüten sich mir auf den Pfad streuen, die Wellen des Flusses vor Eifer zittern, mir den Fuß zu küssen, und sich nur zurückziehen, um unverweilt wiederzukehren, in Zärtlichkeit sich vor mir verschwendend und mich liebkosend, während ich mit meinen Lippen all die heiligen Bildnisse berühre, die zu verehren man mich hier gelehrt.‹
›Und sucht kein andres Bildnis deine Träume heim?‹
›Dies brauche ich dir gar nicht erst zu sagen‹, versetzte Isidora in jener einzigartigen Verquickung aus natürlicher Offenheit und teilweiser Verdeckung des Verstandes, hervorgegangen aus der ihr angeborenen Wesensart und den außergewöhnlichen Umständen ihrer Jugendjahre ›dies brauche ich dir wirklich nicht zu sagen, weil du selber doch
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