Melmoth der Wanderer
die ehrenhaften, bartgezierten Lumpen weit besser kennen als dein Paradies, ein Land, das auch von deiner frommen Mutter und deiner ganzen stolzgeschwellten Sippschaft mir zugesprochen werden muß, sobald ich erst meinen Anspruch darauf geltend mache! Mag sein, daß ich es bin, dem sie dort drüben dann zinsbar sind, und (sonderbar genug!) es keiner wagen wird, dies zu bestreiten!‹
›Zwar bleibt mir alles dunkel, was du mir da sagst‹, versetzte Isidora ›allein, ich fühl’ es nur zu gut, daß ich die Grenzen jenes Anstands, die einer Christin, zumal einer spanischen, gesetzt sind, bei weitem überschreite, sobald ich dies Gespräch nicht unverweilt beende. Denkst du noch immer so, wie du dereinst gedacht, und teilst du noch immer jene Gefühle, welche ich allzeit empfinden muß, so braucht es nicht solchen Disputes, der da nur Verwirrung stiften und Schrecken auslösen kann. Was habe ich denn mit jenem Land zu schaffen, mit dem du mir da kommst? Daß du sein Besitzer bist, macht einzig es mir wert!‹
›Was du mit jenem Land zu schaffen hast?‹ so wiederholte Melmoth. ›Nun, so höre! Du weißt ja gar nicht, was dies Land und ich für dich bedeuten! Anders als hier, wo Landbesitz den Menschen garantiert, ist’s dort der Mensch, auf den das Land sich gründet – und dies für alle Zeiten! Meine Erben, sie sind verhalten, ewig dort zu hausen, wenn sie ihr Leben recht verwalten wollen. So hör mich an, du schöne Immalee, du Christenmädchen, oder wie auch immer der Name lautet, den du hören willst: die erste Taufe wurde durch den Tau von jenen Rosen Indiens dir zuteil, und die Natur, sie war dein erster Pate. Die Christen freilich, die zum andern Male nach ihrer Art dich tauften, ließen’s nicht an heiligem Wasser, Salz und Öl ermangeln, um dergestalt den Makel der Natur von solcher Neugeburt hinwegzuwaschen. Dein letzter Pate aber, so du dich dem Rituale unterwerfen magst, wird dich mit gänzlich andrem Chrisam salben. Doch davon später. Vorher will ich dir die Macht und Herrlichkeit des Reiches künden, den Reichtum und den Rang der Untertanen, die ich dir in die Ehe bringen will. Was je auf dieser Erde mächtig war, es hat sich samt und sonders dort versammelt. Ob Helden, Herrscher oder Unterdrücker, du wirst sie alle drüben wiederfinden in all dem schweren Prunke ihrer Macht. Welche strahlende illustre Assemblée! Da thronen sie gekrönt auf den Podesten, umlodert von den feurigsten Trophäen, die da für alle Zeit in Flammen stehen als Pech- und Schwefelzeichen ewigen Ruhms! Die Größten der Geschichte, so hier oben im Buch nur stehen, dort sind sie in Wahrheit vereint zu einem ewigen Kongreß: Cäsar kannst du treffen, Alexander, die Ptolemäer und die Pharaonen, die Nimruds, die Belsazars ihrer Tage, und auch so manchen Holofernes, der den Kreis der Herrscher aus dem Osten ziert. Doch auch der Fürstlichkeiten aus dem Norden ermangelt’s keineswegs: der alte Odin, er ist nicht minder dort als Attila (den deine Kirche Gottesgeißel nennt) und Alarich nebst all den namenlosen, ja keines Namens würdigen Barbaren, die nie um einen Grund verlegen waren, jedwedes Land, das ihre Habgier reizte, mit Raub und Brand und Mord zu überziehen! Da sind sie samt und sonders anzutreffen, die Herrscher aus dem Süden, Osten, Westen, die Streiter Mahomets, die Sarazenen so gut wie die Kalifen und die Mauren mit ihrem maßlos prunkenden Gehaben, der Halbmond, der Koran, und auch der Roßschweif, – Trompetenschmettern, Gong und Atabal (mit andern Worten, schöne Neophytin) ›das Kampfgeschrei der Führer und Verführten‹. Und auch die dreigekrönten Oberlumpen des Abendlands, sie sind hier anzutreffen, sie, die das kahlgeschorne Heuchlerhaupt verstecken unter einem Diadem, und die geschorenen Borsten Stück für Stück sich mit dem Leben eines Souveräns bezahlen lassen, weil sie Demut heucheln, obschon sie fremde Macht mit Füßen treten. So nennen sie sich Diener aller Diener und wollen dennoch aller Herren Herr sein! Fürwahr an Umgang soll es dir nicht fehlen in jener strahlenden Region – denn strahlen, des sei gewiß, wird sie im Übermaß, und was verschlägt’s, ob solches Licht dem Schwefel, ob es dem Strahl des Mondes sich verdankt, in dessen Schein ich dich erbleichen sehe!‹
›Du siehst mich erbleichen‹, sagte Isidora mit stockender Stimme. ›Ich aber fühle mich erbleichen. Zwar kann ich den Sinn deiner Rede nicht verstehen, allein ich weiß, daß er ein fürchterlicher ist. So
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