Melmoth der Wanderer
am besten weißt, daß ich dich jede Nacht bei mir sehe!«
›Ist es möglich – mich?‹
›Ja, dich. Du bist es ja, der für immer in dem Boot sitzt, das mich zu jenem indischen Eiland hinüberträgt, – dein Blick ist es, der mich so unverwandt anstarrt, doch ist dabei dein Ausdruck so verändert, daß ich kein Wort an dich zu richten wage, – wir fliegen in Sekundenschnelle über die Wogen, und immer bist es du, der da am Steuer steht, doch nimmermehr gehst du an Land, – in dem Moment, da mir mein Inselparadies erscheint, bist du verschwunden. Und wenn wir davon zurückkehren, liegt Finsternis über den Wassern, und auch der Kurs, den du steuerst, ist so finster und so pfeilgeschwind wie der Sturm, der über sie dahinfegt, – und unverwandt blickst du mich an, doch niemals sagst du ein Wort. – O ja! So sehe ich dich Nacht für Nacht bei mir!‹
›Ach, Immalee, das alles sind nur Träume – sind Schäume nur! Wie sollte ich dich rudern von Spaniens Küste bis zu Indiens Meer! – Oh, Wahngebilde deiner Phantasie!‹
›Ist es denn auch ein Traum, daß ich dich vor mir sehe?‹ fragte Isidora. ›Ist es denn bloß ein Traum, daß ich mit dir mich unterhalte? – Dann sag es mir, denn meine armen Sinne sind mir arg verwirrt, und es erscheint mir nicht sonderbarer, dich hier in Spanien zu sehen, als mich auf jenem Eiland meiner Geburt.‹
›Du schöne Immalee, oder Isidora, kurz, wie immer der Name lauten mag, den deine indischen Götzenanbeter oder deine christlichen Taufpaten und -patinnen dir beigelegt haben: ich muß dich bitten, mich anzuhören, weil ich dir einige Geheimnisse zu erläutern habe.‹ Bei diesen Worten ließ Melmoth sich auf ein Beet voll Hyazinthen und Tulpen fallen, welche ihre so farbig erglühenden Kelche geöffnet hatten und ihre Düfte zu Isidoras Fenster emporsandten.
›Oh – du zerstörst mir meine Blumen!‹ schrie die Geängstigte, und dieser Angstschrei ward ausgelöst durch die Erinnerung an ihr ehedem so farbenfrohes Leben, darin ihr reines Herz und ihre Einbildungskraft nur von Blumen umgeben gewesen.
›Dies ist, verzeih, nun einmal mein Geschäft!‹ sprach Melmoth, der in dem zerstörten Beet sich mit Hohneslächeln wohlig räkelte, und sandte einen seiner finsteren Blicke zu Isidora hinauf. ›Denn es ist mir aufgetragen, eine jede Blume, wo immer sie mir aufstößt, zu zertreten, in der Natur so gut wie in der Welt moralischer Gesittung: Hyazinthen so gut wie Herzen und dergleichen Zeug, von dem zu reden sich nicht weiter lohnt. Nun aber, Donna Isidora, bin ich mit all dem Drum und Dran, wie’s Eure Paten und Ihr nur wünschen möget, hier erschienen, um als ein Bote, dem nichts vorzuwerfen, nichts nachzusagen ist, schön morgen wieder an einem Ort zu sein, den zu bestimmen einzig bei Euch liegt und bei Eurer Wahl. Mir stehen ja die indischen Gewässer, dahin Ihr Nacht für Nacht mich rudern laßt, nicht minder offen als das Eis der Pole, doch mag’s – es liegt an Euch! – sich auch begeben, daß um dieselbe Zeit mein nackter Leichnam die Wogen jenes Ozeans durchpflügt (falls noch Gefühl in einem Leichnam wohnt), den eines Tages ich durchpflügen muß (den Ozean, der Sonne nicht, noch Mond, – der Anfang nicht, noch auch ein Ende kennt), auf ewig pflügen muß, um nichts zu ernten als Wut und Haß und nackteste Verzweiflung!‹
›Oh still! – So schweig doch still, behalte diese fürchterlichen Worte bei dir! Bist du denn wirklich der, den ich auf meinem Eilande erblickte? Bist du in Wahrheit der, den ich seit jenem Augenblick in all mein Beten eingeschlossen, der all mein Hoffen und mein Herz regiert? Bist du denn wirklich jenes Wesen, daran die Hoffnung sich mit aller Kraft geklammert, sobald die Kraft des Lebens mich verließ? Ich habe viel gelitten, vieles durchgemacht auf meiner Überfahrt in dieses Land der Christen. Ich war so übel dran, ich lag so krank darnieder, daß dich das Mitleid angekommen wäre. Ach, jene Kleider, die ich tragen, und jene Sprache, die ich sprechen mußte, – ach, jene Religion, die sie mich glauben machten, – und erst das Land, dahin sie mich gebracht! Oh, du nur warst es, du allein, – das bloße Denken war’s, daß es dich gibt, – das Bild, das ich von dir im Herzen trug, – nur dies allein ließ alles mich ertragen. Ich liebte ja, und lieben, es heißt leben! Inmitten der Zerreißung aller Bande der Natur, – inmitten des Verlustes all der Köstlichkeiten jenes Lebens, das, heute nur noch Traum, noch
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