Melmoth der Wanderer
sprich mir nicht länger von jenem Reich mit all seinem Hochmut, seiner Verderbtheit und seinem Glanz! Folgen will ich dir ja in alle Wüsteneien und Einöden, die bis auf den deinen noch keines Menschen Fuß betreten hat, und setzen will ich getreulich den meinen ich deine einsamen Fußstapfen. Ward ich schon in der Verlassenheit geboren, wie sollte ich nicht auch in ihr sterben? Wenn du mich nur die deine sein läßt, wo immer ich auch lebe und wann immer ich sterbe! Und was verschlägt’s, wenn solcher Aufenthalt sogar an jenem Orte wäre, da ...‹ Und so sie dies aussprach, erschauderte sie. ›Sogar an jenem Orte, da ...‹
›Nun, wo?‹ drängte Melmoth, und es mischte sich in solcher Frage der ungestüme Triumph über die fatale Unterwerfung mit dem Entsetzen über jenes Los, dem dies Geschöpf sich in die Arme warf.
›Sogar an jenem Ort, da du dich aufhältst‹, antwortete die hingebungsvolle Isidora. ›Laß mich mit dir sein auch dort! Mein Glück, es muß ja auch an solchem Orte nicht minder groß sein als auf dem Eiland des Sonnenlichtes und der Blütenpracht, wo ich dich erstmals gesehen. Ach! Es gibt wohl keine Blumen mehr, welche so balsamisch und rosig sich entfalten wie auf jener Insel! Keine so melodisch murmelnden Gewässer wie jene, denen ich dort gelauscht, keine lieblicheren Lüfte wie die, so ich dort geatmet in dem Glauben, sie trügen mir den Hall deiner Schritte zu oder den Klang deiner Stimme, – jene menschliche Musik, die ich erstmals durch dich vernommen, und die, wenn ich sie nimmer hören könnte ...‹
›Du wirst‹, so fiel ihr Melmoth jetzt ins Wort ›weit besser noch vernehmen jene Töne, die aus der Kehle von zehntausend, nein, von zehn Millionen Geistern – Wesen kommen, die Klänge, so da unablässig schallen, unsterblich, ohne jemals zu verstummen.‹
›Oh, muß das herrlich sein!‹ rief Isidora und faltete die Hände. ›Die einzige Sprache, welche ich in dieser neuen Welt als des Gebrauches wert gefunden, ist ja die Sprache der Musik! In meiner ersten Welt vernahm ich ja bloß die unvollkommenen Vogelweisen, doch in meiner zweiten hat man mich das Musizieren gelehrt. Und all das Elend, das man sonst mich lehrte, wird bei weitem aufgewogen durch diese neue, so betörend schöne Sprache!‹
›Da der Musik‹, gab Melmoth nun zurück ›du so viel abgewonnen, so bedenke, wie sehr dann dein erlesener Geschmack befriedigt, ja vertieft wird durch das Hören all jener Chöre, die begleitet sind durch das Getöse und den Widerhall, darin zehntausend Flammenwogen donnern, anstürmend gegen Felsen, deren Wände gehärtet sind zu diamantner Härte im Branden einer ewigen Verzweiflung! Da schwätzen sie von der Musik der Sphären! – So träum’ von einer anderen Musik, die da aus jenen Flammenwelten tönt, die sich von Ewigkeit zu Ewigkeit um das Geloder ihrer Achse drehen und ewiglich in solchem Feuerscheine von finsteren Gesängen widerhallen, ganz ähnlich denen deiner Glaubensbrüder, da sie die Ehre hatten, Neros Gärten die Freudennacht zum hellen Tag zu wandeln!‹
›Ich kann dich nicht verstehen‹, sagte Isidora, welche dem Fremden mit jener Beklommenheit des Herzens lauschte, die einzig aus dem zwiefachen Gefühl von Unwissenheit und Entsetzen erwächst.
›Mich nicht verstehen?‹ wiederholte Melmoth mit einem eisigen Sarkasmus, der so wenig zu dem wilden Bück paßte, in dem das Feuer des Verstandes lohte, wie der verschneite Gipfel des Vulkans zur Feuersäule, die sich von ihm hebt. ›Mich nicht verstehen! – Hast du nicht gesagt, du liebtest über alles die Musik?‹
›Dies tue ich.‹
›Und liebst du denn nicht minder auch den Tanz, du anmutsvolles, du geliebtes Wesen?‹
›Dies tat ich.‹
›Und was bedeutet solcher Unterschied?‹
›Ich liebe die Musik – und muß sie allzeit lieben –, sie ist ja die Sprache der Erinnerung. Schon ein einziger Akkord trägt mich zurück zu der träumerischen Seligkeit, zurück in das zaubrische Leben jenes Eilands, welches mir – nur mir gehörte. Nicht aber kann ich das vom Tanze sagen. Zu tanzen habe ich erlernt – die Musik aber habe ich erfühlt . Niemals werde ich die Stunde vergessen, da ich sie zum ersten Mal vernommen und mir eingebildet, das wäre die Sprache, in der die Christen zueinander reden. Seither habe ich sie freilich eine gänzlich andere Sprache gebrauchen hören.‹
»Unzweifelhaft gleicht ihre Sprache ja nicht immer der Musik, besonders dann, wenn sie in Dingen ihrer Religion
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