Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
Vom Netzwerk:
Gestalt des Fremden – nicht vor seinem Bilde .«

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Und sähe die ewige Feuersglut
    In der unergründlichen Tiefe,
    Und hob seine Hand ob der Schwefel-Flut,
    Daß den Höllen-Fürsten er riefe.
    Und jener, gehorchend der Hand des HErrn,
    Stob heran aus den Flammen-Fernen
    Und stand schön als ein Engel, hell als ein Stern,
    Auf seinem Podeste von Sternen.

     
    »An dieser Stelle des Manuskripts, welches ich in dem unterirdischen Gewölbe Adonaias des Jüden gelesen habe«, sagte Moncada, indem er in seiner Erzählung fortfuhr, »waren mehrere Blätter vernichtet, und auch der Inhalt vieler weiterer Seiten war zur Gänze ausgelöscht, so daß nicht einmal Adonaia selbst das Fehlende zu ersetzen wußte. Doch hatte es nach der Lektüre der nächsten leserlichen Seiten den Anschein, als wäre Isidora so unklug gewesen, ihrem geheimnisvollen Besucher weiterhin den Aufenthalt im Garten zu gestatten und vom Fenster aus ihre Konversation mit ihm fortzusetzen, obschon sie ihn nicht dazu bewegen konnte, sich ihrer Familie gegenüber zu erklären, wohl auch aus dem Bewußtsein, daß solche Erklärung nicht sonderlich günstig aufgenommen worden wäre. So viel ging zumindest aus den nächsten entzifferbaren Zeilen hervor.«

    »Noch vor der zweiten Woche jener nächtlichen Zwiegespräche hatte Isidora das Maß ihrer Ansprüche gemindert. Sie hatte die Hoffnung aufgegeben, den Besucher bezaubern oder für sich einnehmen zu können, – jene Hoffnung, welche auch aus dem keuschesten weiblichen Herzen als eine Zwillingsschwester der Liebe hervorgeht. Nunmehr konzentrierte sie all ihre Hoffnungen und ihr gesamtes Herz nicht mehr darauf, Liebe zu empfangen , sondern auf den einzigen Wunsch, Liebe zu spenden . Sie hörte auf zu reden, – sie hörte nur noch zu. Und dieser Wunsch, zuzuhören, sogar er sänftigte sich so weit, daß die Ohren ihre Funktion den Augen überließen, welche, nun beständig die Gestalt des nächtlichen Besuchers in sich aufzunehmen trachteten. Gesicht und Gehör verschmolzen ihr zu einem einzigen Wahrnehmungsorgan. So erblickte sie nunmehr die ersehnte Gestalt noch lange vor deren Erscheinen, und hörte den Worten ihres Besuchers zu, auch wenn er gar nicht sprach.
    Dennoch, im Verlauf ihrer letzten gemeinsamen Nächte begann Isidora bisweilen zu sprechen, doch geschah dies bloß, um ihren Liebhaber in sanftem, gemäßigtem Tone an ein Versprechen zu gemahnen, er werde sich Isidoras Eltern erklären und bei denselben um der Geliebten Hand anhalten. Manchesmal murmelte sie auch etwas von ihrer angegriffenen Gesundheit, – ihren erschöpften Lebensgeistern, – ihrem brechenden Herzen, – von dem langen Hinauszögern, – der hinschwindenden Hoffnung, – der geheimnisvollen Vereinigung. Allein, solche Vorhaltungen beantwortete er bloß mit einem unergründlichen, ja beängstigenden Schweigen, oder aber mit einer Leichtfertigkeit, deren ungehemmte, erschreckende Ausbrüche noch beängstigender waren als dies Schweigen.
    Bisweilen schien er sogar das Herz, über welches er triumphiert hatte, verletzen zu wollen, indem er, schwelgend im Vollgefühl des errungenen Sieges, vorgebliche Zweifel an demselben äußerte mit der Miene desjenigen, der seinen Gefangenen mit der Frage verhöhnt ›ob er denn auch ganz gewiß in Ketten liege‹.
    ›Du wirst doch nicht am Ende verliebt sein?‹ fragte er dann wohl. ›Und doch sicher nicht in mich ! Die Liebe, sie müßte doch aus einem kultivierten Geschmack kommen, – aus der harmonischen Übereinstimmung, – aus einer glückhaften Gemeinsamkeit des Strebens, des Denkens, der Hoffnungen und der Gefühle, von denen es in der erhabenen Sprache des jüdischen Poeten (will sagen Propheten) heißt, sie wären ›nicht mächtig des Wortes noch der Rede und zeugten doch für einander, dieweil unter ihnen sich eine Stimme erhebe.‹ Du aber, wie solltest du ein Wesen lieben können, von so absonderlichen Gewohnheiten, so ungestüm und so unergründlich in seinen Gefühlen – und so unnahbar in dem vorbestimmten Ziel seiner ebenso furchtlosen Existenz? Mitnichten‹, so fügte er dann im Ton der traurigen Gewißheit hinzu ›du kannst mich nicht lieben in dieser deiner neuen Umwelt. Einstmals wohl – doch jene Tage sind dahin. – Nunmehr bist du ja eine getaufte Tochter der Katholischen Kirche, – bist das Mitglied einer gesitteten Gesellschaft, – das Kind einer Familie, die des Fremden nicht braucht. Was also könnte es zwischen dir und mir an

Weitere Kostenlose Bücher