Melmoth der Wanderer
hatte allen eine besondere Art der Beherztheit verliehen. Das ehrliche Bedauern und der ermutigende Zuspruch des Gottesmannes waren allen Ohren und Herzen eine rechte Stärkung. Er gab seiner Überzeugung Ausdruck, daß nichts als die anrüchigsten Mittel, zu denen die habgierigen Mönche ihre Zuflucht genommen, dem Sterbenden solche letztwillige Verfügung abgepreßt haben könnten, und er bekräftigte seine Bereitschaft, vor jedem spanischen Gerichtshof die wahre Absicht des Testators zu erhärten, nämlich (und dies habe derselbe noch wenige Stunden vor seinem Tode gesagt), seinen gesamten Besitz der Familie zu hinterlassen, welchen Entschluß er ja zu wiederholten Malen vor ihm, dem Beichtvater, und auch vor dritten Personen, in Worte gefaßt habe, und der überdies in einem früheren Testament schriftlich niedergelegt sei.
So ging denn die gesamte Familie, von recht hoffnungsvollen Gedanken beseelt, zu Bett und verbrachte daselbst eine friedliche Nacht.
Der Gottesmann stand zu seinem Wort: die gewiegtesten Advokaten Sevillas nahmen sich des Falles an. Mit allem Fleiß sammelte der Priester allerlei Beweise für die Unredlichkeit, die betrügerischen Machenschaften, ja sogar die Einschüchterungsversuche, welche gegen den Testator zur Anwendung gekommen waren, und die Advokaten ordneten all dies zu einem Schriftsatz, welchen sie mit aller Geschicklichkeit vertraten. So würde Walberg mit jeder neuen Stunde zuversichtlicher gestimmt. Die Familie hatte sich zwar zum Zeitpunkt von Guzmans Ableben im Besitz einer beträchtlichen Summe Geldes befunden, allein, dieselbe war bald vertan, und nicht besser sollte es mit jenem Spargroschen gehen, welchen Ines vermöge ihres umsichtigen Wirtschaftens hatte zurücklegen können, und den sie nun, im Vertrauen auf den günstigen Ausgang des Prozesses, hochgemut zutage förderte, um damit ihrem Gatten in dessen bedrängter Lage beizustehen. Und als alles aufgebraucht war, verblieben dennoch weitere Hilfsquellen: man entäußerte sich des geräumigen Hauses, die Dienerschaft wurde entlassen, das Mobiliar zu dem gebräuchlichen Viertelteile seines Wertes verkauft, und Ines sowie deren Töchter waren zufrieden, draußen am Rand von Sevilla in ihrem neuen, bescheidenen Domizil all jene häuslichen Pflichten wieder auf sich zu nehmen, welche ihnen von ihrer stillen Heimstatt in Deutschland ja nur zu wohl vertraut waren.
Die Testamentsanfechtung hatte nun das Verhandlungsstadium erreicht, und an den ersten beiden Tagen des Prozesses legten Walbergs Advokaten all ihre Beweisstücke dem Gericht vor. Am dritten Tage kamen die Anwälte der Kirche zum Zuge, und sie taten dies mit aller ihnen eigenen Vehemenz. Was Wunder, daß Walberg recht entmutigt nach Hause zurückkehrte!
Der Prozeß wurde in einem Geiste und mit einem Eifer vorangetrieben, wie es in der Spanischen Rechtsprechung dergleichen noch nicht gegeben, und so wurde denn die letzte Verhandlung zusammen mit der abschließenden Urteilsverkündung auf den vierten Tag festgesetzt. Mit dessen Heraufdämmern erhob Walberg sich von seinem Lager und schritt spornstreichs zu dem Gerichtsgebäude, vor dessen noch verschlossenen Toren er stundenlang auf und ab wandelte.
Das Gericht war zu einer früheren Stunde als üblich zusammengetreten, und der Streitgegenstand wurde von beiden Seiten mit allem Nachdruck vertreten. Walberg blieb während der gesamten Verhandlungsdauer auf ein und demselben Platz sitzen. Erst spät am Abend war alles vorüber, und der Verstörte hatte während der ganzen Zeit keinerlei Erfrischung zu sich genommen, niemals seinen Platz und schon gar nicht den überfüllten stickigen Saal verlassen. Quid multis morer? Wie’s um eine Sache bestellt ist, welche ein fremdländischer Ketzer gegen die Habsucht der spanischen Geistlichkeit anstrengt, dies zu beurteilen bedarf es nicht allzu tiefer Geistesgaben.
Den ganzen Tag über war die Familie im innersten Raum ihrer armseligen Behausung versammelt gewesen.
Dann wurde an das Tor geklopft, und Ines eilte hinaus, um zu öffnen. Der Draußen stehende lief an Ines vorbei und schlüpfte wie ein Schatten ins Haus. Erschrocken folgte sie ihm und erblickte zu ihrem unaussprechlichen Entsetzen ihren Gatten, wie er inmitten der Kinderschar, welche vergeblich versuchte, ihn aufzurichten, auf den Knien lag, wobei er beständig ausrief: ›Nein, laßt mich knien, – so laßt mich doch knien, ich hab’ euch alle zugrunde gerichtet! Unsre Sache ist verloren, und ich hab’
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