Melmoth der Wanderer
dekorative Erziehung am Ende doch ihre Früchte zeitigen werde. Denn Walbergs Gemahlin war eine Frau, welche von der Unbill des Lebens unterwiesen worden war, voll Besorgnis in die Zukunft zu blicken, und sie tat dies mit einer des Unheils so sehr gewärtigen Akkuratesse, daß ihr auch nicht das kleinste Stäubchen eines möglichen Übels entging, und mochte es von den Strahlen der über so wechselvollem Leben aufgegangenen Sonne noch so sehr verklärt sein.
Der Geistliche, welcher ja Guzmans Beichtiger war, weilte oft in ihrem Hause zu Gast. Erstlich geschah dies in seiner Eigenschaft als Almosenier und Werkzeug von seines Beichtkindes Freigebigkeit, welche ebenso reichlich wie pünktlich vermittelst der priesterlichen Hände geübt wurde, zum zweiten aber vermöge einer Leidenschaft für das Schachspiel, für welches der Gottesmann selbst in Spanien keinen würdigeren Gegner als Walberg gefunden hatte. Nun trug es sich eines Tages zu, daß eine Botschaft ihn erreichte, welche seine augenblickliche Rückkehr erheischte. Der Gottesmann, seine Königin en prise zurücklassend, eilte auf den Gang hinaus, um sich mit dem Boten zu unterreden. Alle waren in unaussprechlicher Erregung von ihren Stühlen emporgeschrocken und schon entschlossen, ihm zu folgen, doch hielten sie an der Tür inne und zogen sich, halb neugierig, halb über ihre Neugierde beschämt, alsbald wieder zurück. Dabei vernahmen sie unwillentlich die folgenden Worte des Boten: ›Er ist im Begriff, sein Leben auszuhauchen – er hat nach Euch verlangt – Ihr dürft keinen Augenblick verlieren.‹ Dies gesagt, verließen die beiden das Haus.
Die Familie begab sich wieder in das Wohngemach und verharrte daselbst in tiefster Schweigsamkeit, welche einzig von dem deutlich vernehmbaren Ticken der Uhr unterbrochen wurde – einem Ticken, das den hellhörig gewordenen Ohren der Wartenden inmitten all der tiefen Stille viel zu laut tönte –, sowie von dem plötzlichen Aufspringen Walbergs, welcher eilig das Zimmer durchquerte. ›Mein Gott – wie lange er sich verweilt!‹ rief Walberg unwillkürlich aus. Und erst diese, obschon nur halblaut geäußerten Worte waren es, welche all die Lauschenden auffahren ließen, dieweil es seit so vielen Stunden der erste menschliche Laut war, den sie vernahmen.
In diesem Moment wurde draußen an das Tor gepocht, – über den Gang näherten sich langsame Schritte, – die Tür ging auf, und in ihr stand der Priester. Ohne eine Wort trat er ein, mit keinem Wort wurde er angeredet. Und in diesem so gegensätzlichen Augenblick der stärksten Erregung und der tiefsten Stille – des Verschweigenwollens im Reden und des Redenwollens im Verschweigen –, schloß die Seelenpein mit der Sprachlosigkeit einen erschreckenden Bund, doch dauerte dies, wie gesagt, bloß einen Augenblick. Der Priester blieb stehen und sagte nur: ›Es ist zu Ende.‹
Walberg faltete die Hände vor der Stirn und rief, wie von Todesqualen erlöst: ›Dem HErrn sei’s gedankt!‹ wobei er ohne zu überlegen den nächstbesten Gegenstand an sich riß und ihn an den Busen drückte, als wär’s eines seiner Kinder. Sein Eheweib vergoß etwelche Tränen bei dem Gedanken an des Bruders Tod, doch faßte sie sich um ihrer Kinder willen alsbald ein Herz, um all das mitanzuhören, was nun zu erwarten stand. Indes, der Priester konnte nichts anderes sagen, als daß Guzman tot sei, – daß man Kisten, Kasten und Truhen im ganzen Haus versiegelt habe, – daß nicht der kleinste Verschlag dem Eifer der damit Befaßten entgangen, und daß die Testamentseröffnung auf den nämlichen Tag festgesetzt worden sei.
Der Tag neigte sich schon seinem Abend zu, – die Dienstboten vermeldeten soeben, daß das Abendbrot angerichtet sei, als Walberg hinausgebeten wurde. Indes, da er nach wenigen Minuten zurückkehrte, wiesen seine Züge keinerlei Veränderung auf, und bis auf seine Gemahlin gewahrte keiner den Anflug jenes verzweifelten Lächelns, der da über seine zitternde Miene geisterte, dieweil er Wein in einen Pokal goß, denselben an die Lippen führte und ausrief: ›Eine Gesundheit auf die Erben des alten Guzman!‹ Allein, anstatt das Getränk in sich zu gießen, schmetterte er das Glas zu Boden und schrie in verzweifeltem Ton: ›Nicht einen einzigen Dukaten! – Alles und jedes der Kirche! – Für uns keinen einzigen, lumpigen Dukaten!‹
Am späten Abend traf der Priester ein und fand Walberg in viel gefaßterem Zustand vor. Die Gewißheit ihres Unsterns
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