Melmoth der Wanderer
wären sie in der Tat schon aus jenem Marmorstein gemeißelt, welchem sie nach Tönung und Ebenmaß so sehr glichen. Seine Arme wiesen zum Kopfende des Bettes, das Blut sickerte unaufhaltsam aus den geöffneten Adern, und das sonst so strahlende Lockenhaar war verklebt von dem roten Lebenssaft, der da von den Armen herniederfloß. Schon waren die Lippen bläulich verfärbt, und das Stöhnen, welches aus ihnen hervorquoll, wurde schwächer und schwächer, dieweil die Mutter sich über den reglosen Körper beugte. Solcher Anblick verbannte unverweilt alle anderen Ängste und Gefühle aus dem Mutterherzen, und Ines schrie gellend auf, um ihres schlafenden Gatten Hilfe herbeizurufen. Alsbald erschien der schlaftrunken taumelnde Walberg auf der Schwelle, – doch wurde er angesichts des sich ihm bietenden Bildes sogleich hellwach. Ines hatte nur noch die Kraft, wortlos auf die Schreckensszene hinzuweisen. Der erbarmungswürdige Vater aber stürzte aus dem Haus, um ärztlichen Beistand herbeizuholen, welchen er freilich für Gotteslohn erbitten mußte, und dies in dem gebrochenen Spanisch, welches ihn sogleich als einen Fremden und Ketzer auswies, so daß ihm jede Tür, daran er pochte, unverzüglich vor der Nase zugeschlagen ward.
Zuletzt aber erklärte ein verschlafener Barbier, der sich auch auf die Heilkunst verstand (beide Professionen wurden ja in Sevilla von ein und denselben Personen ausgeübt), nach vielem Gähnen bereit, dem Hilfeheischenden beizuspringen, und trat alsbald, versehen mit einer hinlänglichen Menge Charpie und Alaunstein, auf die Straße. Der Weg war nicht weit, und so stand man alsbald am Lager des jungen Dulders. Zu ihrer unsagbaren Bestürzung gewahrten die Eltern den matten Blick des Wiedererkennens und das gräßliche, wissende Lächeln, mit welchem Eberhard solchen Helfers ansichtig wurde. Und nachdem derselbe durch Abbinden der Arme dem rinnenden Blut Einhalt geboten, gab es ein Geflüster zwischen ihm und dem Patienten, wobei der letztere die blutlose Hand an die Lippen hob und jenem zuraunte: ›Seid unsrer Abmachung eingedenk!‹
Walberg folgte dem Mann bis an die Tür und begehrte von ihm die Bedeutung der Worte zu wissen. Er war ein Deutscher und als solcher zornmütig, – der Wundarzt aber ein echter Spanier und als solcher von beherrschter Würde. ›Ich will’s Euch morgen entdecken, Senor‹, sprach er, dieweil er seine Instrumente zusammenpackte. ›Bis dahin mögt Ihr beruhigt sein, daß ich für Gottes Lohn nach Eurem Sohn sehen werde, der sich ganz gewiß wieder erholen wird. Wir in Sevilla schätzen Euch Ketzer zwar nach Gebühr ein, allein, um dieses Jünglings willen verdiente Eure ganze Familie, heilig- und von allen Sünden losgesprochen zu werden.‹ Dies gesagt, machte sich der Sprecher aus dem Staub. Indes, schon am nächsten Morgen stellte er sich wieder bei Eberhard ein, und solcher Besuch wiederholte sich durch einige Tage bis zur völligen Genesung des Jünglings, wobei auch die kleinste Vergütung standhaft zurückgewiesen ward. Dies ließ den durch das Elend gegen alles mißtrauisch gewordenen Vater Verdacht schöpfen, so daß er an der Tür lauschte und schließlich das entsetzliche Geheimnis erfuhr.
Den folgenden Tag, da alle sich versammelt hatten, um Rat zu halten, auf welche Weise der Lebensunterhalt für den nächstfolgenden herbeizuschaffen wäre, vermißten sie zum erstenmal den Vater. Zuletzt trat der Vermißte doch noch ein, indes, er nahm an der Beratung nicht teil, sondern lehnte sich nur mit düsterer Miene an die Mauer und wandte sich, so oft Eberhard oder Julia flehentlichen Blickes sein Einverständnis erbaten, verdrossen ab. Als letzter Ausweg bot sich dieser unseligen Familie nur noch der eine, auf die Straße betteln zu gehen, und so kam man denn überein, daß der Abend die für solchen Versuch am besten geeignete Tageszeit wäre. Der unglückliche Vater verharrte in seinem Schweigen und lehnte sich weiterhin taumelnd gegen die zerbrochene Täfelung. Ines aber versuchte, die Kleider der Kinder auszubessern, doch waren dieselben so fadenscheinig, daß jeder Stich der Nadel einen neuen Riß hervorrief, ja daß sogar der dünne Nähfaden noch stärker war als das Zeug, das er zusammenhalten sollte.
Mit dem Hereinbruch der Nacht kehrten nach und nach sämtliche Familienmitglieder wieder in ihre Behausung zurück. Indes nun das Abendbrot, welches sie alle für ihr letztes hielten, geteilt war, lieferte Walberg einen weiteren jener plötzlichen
Weitere Kostenlose Bücher