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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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bereit gewesen wären, das eigene Leben hinzugeben, – sie vermitteln allen, welche dergleichen an sich erfahren haben, das Gefühl, als gäbe es auf Erden kein anderes Übel als die Not, und keinen anderen vernünftigen Lebenszweck als jenen, solche Not zu bekämpfen.
    Das Begräbnis, welches in der folgenden Nacht vollzogen wurde, wäre wohl wert gewesen, von dem Pinsel des allergrößten Malers festgehalten zu werden. Dieweil nämlich die Dahingeschiedene dem ketzerischen Glauben angehangen, wurde den Angehörigen nicht gestattet, sie in geweihter Erde beizusetzen, und so bildeten denn Walberg, Ines und die Töchter, ängstlich bemüht, jeden Anstoß zu vermeiden und ihren Glauben keinerlei Anpöbelungen auszusetzen, das einzige Gefolge des sonderbaren Leichenzuges. Auf Ines’ Antlitz malte sich der Kummer, doch war derselbe vermengt mit dem Entsetzen, ob so stummer, durch nichts geheiligter Zeremonie. Die Töchter Ines und Julia, bleich vor Leid und Angst, weinten leise vor sich hin – doch ihre Tränen versiegten, und ihre Gefühle wandelten sich, sobald das Licht auf eine neue Gestalt fiel, welche urplötzlich am Grabesrand aufgetaucht war: es war Walbergs Vater.
    Unwillig wegen seines Alleinseins, und in völliger Unkenntnis dessen, was da draußen vor sich ging, hatte er sich taumelnd bis zu dem Begräbnisplatz vorangetastet. Und da er daselbst seinen Sohn die Erde zu einem Grabhügel aufhäufen sah, rief er, indem er zu Boden sank und sein Gedächtnis von einem flüchtigen Strahl erhellt wurde, aus: ›Legt auch mich dazu – legt auch mich in diese Grube, sie hat Platz genug für uns beide!‹ Seine Kinder hoben ihn auf und geleiteten ihn in das Haus zurück, wo das Erscheinen Eberhards, welcher ganz unerwartet mit neuen Lebensmitteln eingetroffen war, sie alsbald das Schreckliche des soeben verlassenen Schauplatzes vergessen und die Sorgen um die dringlichsten Bedürfnisse auf den folgenden Tag verschieben ließ. Indes konnte keine Frage nach dem Woher solcher plötzlichen Bescherung dem Spender mehr entlocken als die Antwort, es handele sich dabei um milde Gaben. Er bot ein Bild der völligen Erschöpfung und sah erschreckend bleich aus, – und so stand man davon ab, ihm weitere Fragen zu stellen, sondern ließ sich zu diesem Manna-Mahl nieder, zu diesem Abendbrot, das da wahrlich vom Himmel zu kommen schien, und ging danach auseinander, um der nächtlichen Ruhe zu pflegen.
    Beim Zubettgehen war es Ines, als vernähme sie ein schwaches Stöhnen aus der Kammer Eberhards, welcher seine Eltern, die genötigt gewesen waren, das sämtliche Bettzeug zu verkaufen, angefleht hatte, sie mögen doch den kleinen Bruder zu ihm legen, damit derselbe statt der künstlichen Wärme des Deckbetts jener natürlichen des älteren Bruders teilhaftig würde. Zum anderen Male vernahm Ines nun dies Stöhnen, doch wagte sie nicht, ihren Gemahl zu wecken, welcher in jenem tiefen Schlaf lag, der da nicht minder ein Schutz und Schirm vor dem unerträglichen Jammer denn eine Erholung von Fraß und Völlerei zu sein pflegt. Allein, wenige Augenblicke nachdem dies Stöhnen geendet und Ines sich schon halb und halb eingeredet hatte, es wäre nichts als der Nachhall jener Woge gewesen, die da immerdar ans Ohr des Unglücklichen zu schlagen scheint, wurde der Bettvorhang zur Seite gerissen, und vor ihren Augen stand eine über und über mit Blut beschmierte, kindliche Gestalt, welche angstvoll rief: ›Dies ist Eberhards Blut, – er blutet sich zu Tode, – ich bin schon ganz voll davon! – Mutter, – Mutter, so steh doch auf und rette Eberhards Leben!‹ All dies, der Gegenstand, die Worte und der Ton, in welchem dieselben hervorgestoßen waren, es erschien Ines wie ein Bild aus einem jener Angstträume, welche ihren Schlaf in letzter Zeit so häufig heimgesucht, bis sie in Wahrnehmung des Umstandes, daß es ja die Stimme ihres jüngsten und (in ihrem Herzen) liebsten Kindes Moritz war, aus dem Bett sprang und der kleinen, blutbeschmierten Gestalt, die auf nackten Sohlen vor ihr hertappte, ins angrenzende Gemach folgte, darin Eberhard schlief. In all ihrer würgenden Angst aber trat sie noch immer so leise auf wie Moritz, um Walberg nur ja nicht aus seinem Schlummer zu wecken.
    Das Licht des Mondes fiel strahlend durch die nackten Fenster in den erbärmlichen Verschlag, darin sich das Bett befand, dessen Ausstattung die allerdürftigste war. Eberhards schneeige Glieder waren gebreitet, als läge er einem Bildhauer Modell, ja als

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