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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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euch alle an den Bettelstab gebracht!‹
    Vielleicht war es ein Glück für diese unglückliche Familie, daß gerade das Drängende ihrer Notlage es verbot, sich dem Kummer darüber allzu lange hinzugeben. Nur zu laut, nur zu deutlich vernehmbar erhob ja Frau Sorge ihre Stimme und übertönte damit all das Weinen und Jammern solcher qualvollen Stunde. Der kommende Tag forderte seine Rechte – und er gewährte keinerlei Aufschub. Die Mittel der Familie reichten wenigstens noch für eine Woche. Walberg, so kam man überein, würde Musikstunden geben, – Ines und ihre Töchter sollten durch Strickereiarbeiten das ihrige zum Lebensunterhalt beitragen, und Eberhard, der älteste Sohn, der sowohl in der Musik als auch im Zeichnen eine überaus glückliche Hand bewies, mochte sich auf jedem dieser Gebiete versuchen.«

ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Dies hatten sie
    Als schreckliches Geheimnis mir vertraut,
    So wachte ich die dritte Nacht mit ihnen.
    Shakespeare

     
    »Dieweil sie so sprachen, klopfte es so zart an die Tür, als stünde die leibhaftige Güte vor der Pforte des Elends, und Eberhard sprang auf, um zu öffnen. Draußen stand der gutherzige Gottesmann. Er trat ein und nahm schweigend Platz. Nach Anhörung dessen, was Walberg zusammen mit der Familie sich an Plänen ausgedacht, versprach er mit vor Rührung schwankender Stimme, in allem und jedem behilflich sein zu wollen. Und schon im Begriff zu gehen, ließ er verlauten, daß die Gläubigen ihm da eine bescheidene Summe zur Unterstützung der Armen anvertraut hätten, und er dafür keine bessere Verwendung wüßte denn diese. Solches gesagt, ließ er aus dem Kuttenärmel eine wohlgefüllte Börse fallen und entzog sich durch seinen eiligen Weggang sämtlichem Dank.
    Erst jetzt zogen sich alle zur Ruhe zurück, erhoben sich jedoch schon nach wenigen Stunden, ohne Schlaf gefunden zu haben. Und der Rest dieses Tages, sowie die drei darauffolgenden, gingen darüber hin, an jeder Pforte anzuklopfen, wo man auf Zuspruch oder Arbeit hoffen konnte, wobei der Priester all diese Bitten persönlich unterstützte. Allein, es sprachen gar zu viele Umstände gegen Walbergs von einem Unstern verfolgte Familie. Sie kamen ja aus einem fremden Land und waren, die Mutter ausgenommen, welche als ein Dolmetscher fungierte, des Spanischen unkundig. Auch waren sie Ketzer, und diese Schranke allein genügte schon, um jedes Fortkommen in Sevilla unmöglich zu machen. Abend für Abend kehrten sie heim, um die zusammengeschrumpften Vorräte zu zählen, das von Mal zu Mal kärglichere Essen zu teilen und nachzurechnen, wie weit man die natürlichen Bedürfnisse wohl noch herabsetzen könnte, um mit den schwindenden Mitteln sein Auslangen zu finden, einander zulächelnd, wenn sie das Morgen gemeinsam besprachen, aber so manche Träne vergießend, sobald sie ein jeder für sich darüber nachdachten. Das Tagebuch des Elends, es führte eine lähmende Sprache, – ›und jeder Tag gibt sie dem nächsten weiter‹. So kam denn der Moment heran, da das letzte Geldstück ausgegeben, das letzte Essen verzehrt, die letzte Hilfsquelle versiegt, die letzte Hoffnung zunichte war, und auch der so wohlgeneigte Priester nur unter Tränen versichern konnte, er habe nun nichts mehr zu geben als seine Gebete.
    An jenem Abend saß die Familie stundenlang in tiefem und ratlosem Schweigen beisammen, bis Walbergs greise Mutter urplötzlich mit jener beängstigenden Kraft, welche sich schon als die allerletzte zu erkennen gibt, – in jenem letzten, hellen Aufzucken des scheidenden Lebens, welches dessen endgültigem Verlöschen voraufgeht, mit lauter, augenscheinlich an ihren Gatten gerichteter Stimme ausrief: ›Weshalb haben sie uns aus unsrer deutschen Heimat hierher kommen lassen? – Hätten sie uns dort nicht in Ruhe sterben lassen können? Ich will wieder nach Deutschland zurück, – ich will in meine Heimat! Ich kenne ja den Weg, – ich weiß ihn gut, – wenn’s nur nicht so finster wäre! – Es ist nicht mehr weit, – ich bin schon ganz nahe, – ich bin ... daheim !‹ Und mit diesen letzten Worten brach sie zu Walbergs Füßen zusammen. Alle stürzten zu ihr hin, um ihr aufzuhelfen, doch was sie da in den Armen hielten, es war – eine Leiche.
    ›Dem Herrn sei’s gedankt!‹ rief ihr Sohn, als er auf den Leichnam seiner Mutter niederblickte. – und solche Umkehrung der stärksten, natürlichsten Bindung, – dieser Wunsch, jene sterben zu sehen, für welche wir unter anderen Umständen

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