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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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sie erkennen mußten, daß Guzmans fester Seelenvorsatz auf keine Weise zu erschüttern wäre, daß er unweigerlich entschlossen war, die Schwester samt Familie nach Spanien zurückzurufen, beschränkten sie sich mit guter Miene darauf, in ihn zu dringen, er möge sich mit seiner ketzerischen Verwandtschaft einzig durch ihre, der Pfaffen, Vermittlung in Verbindung setzen und niemals, weder der Schwester noch einem ihrer Kinder, von Angesicht gegenübertreten, es wäre denn im Beisein eines geistlichen Zeugen.
    Guzman suchte zwischen seinem Gewissen und seinen Gefühlen zu vermitteln, indem er beschloß, seiner Schwester den größten Teil seines immensen Vermögens zu überlassen, andererseits aber seinen geistlichen Ratgebern versprach, niemals mit einem Mitglied dieser Familie zusammentreffen zu wollen.
    Noch im Verlaufe des nämlichen Jahres traf die Schwester mit ihrem Gemahl und vier Kindern in Spanien ein. Sie hieß nunmehr mit ehelichem Namen Walberg. Er war ein sehr fleißiger Mensch und exzellenter Musikus. Seine große Begabung hatte ihm die Stellung eines Maestro di Capella am Großherzoglich-Sächsischen Hofe eingetragen, und all seine Kinder waren (nach Maßgabe seiner Mittel) dazu ausgebildet worden, diesen Posten im Falle seines Vakantwerdens durch Tod oder sonstige Ursachen zu übernehmen, oder aber, sich als Musiklehrer an den deutschen Fürstenhöfen fortzubringen.
    In Spanien eingetroffen, reisten sie alsbald nach Sevilla weiter, woselbst sie bei ihrer Ankunft den Besuch eines überaus würdevollen Geistlichen empfingen, welcher sie von Guzmans Entschluß in Kenntnis setzte, niemals mit der sündigen Schwester oder ihrer Familie zusammentreffen zu wollen, unter der gleichzeitigen Versicherung, daß er die Absicht habe, für alle nötigen Mittel und jede Bequemlichkeit so lange Sorge zu tragen, bis sein Ableben die Erben in den Genuß seines Vermögens setzen werde.
    Dies war, seit dem Eintreffen der Eildepesche in Deutschland, die erste Wolke, die das Glück der Walbergs verdunkelte, und so saßen denn die Neuangekommenen für den Rest des Abends düster genug unter deren Schatten. Walberg hatte ja im Vertrauen auf den zu erwartenden Wohlstand auch an seine hochbetagten Eltern geschrieben, sie sollten zu ihm nach Sevilla ziehen. Nur durch den Verkauf seines Hauses und des gesamten Mobiliars hatte er die Mittel für solch langwierige Reise aufbringen können. Nun stand die Ankunft der Eltern stündlich zu erwarten, und die Kinder, die sich eine schwache, jedoch dankbare Erinnerung an den Segen bewahrt hatten, der da einst von zitternden Lippen und welken Händen auf ihr Haupt herabgefleht worden war, sahen dem Eintreffen des greisen Paares voll Freude entgegen.
    Der folgende Tag war strahlend und wolkenlos. Abermals sprach jener Geistliche vor und setzte die Familie davon in Kenntnis, er habe den Auftrag, ihr eine jährliche, für den Lebensunterhalt bestimmte Summe auszuhändigen. Er nannte auch deren Höhe, welche den Empfängern so unfaßlich erschien wie jene zweite, nahezu fürstliche Zuwendung, welche für die Erziehung der Kinder vorgesehen war. Der Gottesmann war noch nicht lange weggegangen, als der Reisewagen mit Walbergs Eltern vorfuhr. Die greisen Insassen, obzwar durch Müdigkeit und Freude arg mitgenommen, zeigten keinerlei ernstliche Erschöpfung, und so versammelte sich denn die wiedervereinigte Familie zu einem, wie es jedermann scheinen wollte, überaus üppigen Mahl, ein jeder so recht in dem angenehmen Bewußtsein einer gesicherten, sorgenfreien Zukunft, welches Gefühl ja oft genug köstlicher ist als der tatsächliche Genuß solchen Glückes.

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Quaeque ipsa miserrima vidi,
    Et quorum pars magna fui [20]
    Vergil

     
    In der nächsten Zeit ward für Walberg ein stattliches Haus erworben, und auch seine Kinder wurden prächtig ausstaffiert und bestens untergebracht. Und wie armselig es auch damals in Spanien um die Erziehung bestellt war – und heute noch ist –, so wurden sie doch in allem unterwiesen, was dazu geeignet schien, sie in den Augen der Abkömmlinge von Hidalgos gesellschaftsfähig zu machen. Hingegen wurde jeder Versuch, ja sogar jede Andeutung, die Kinder auf das praktische Leben vorzubereiten, in Guzmans Auftrag strengstens untersagt. Der Vater wußte sich darüber vor Stolz kaum zu fassen, – die Mutter aber bedauerte dies, doch behielt sie solches Bedauern für sich, tröstete sich jedoch mit dem Gedanken daran, daß solche rein

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