Melmoth der Wanderer
wachen Mißtrauen des im Geiste Verstörten in seiner Rede fort: ›Wenn du mir schon jetzt keinen Glauben schenken magst, wie solltest du dies erst, wenn ich dir jetzt anvertraue, mit welch entsetzlicher Erscheinung ich in der letzten Zeit Bekanntschaft gemacht habe?‹
›Oh du mein lieber Mann‹, entsetzte sich Ines, die in ihres Gatten Worten plötzlich die Quelle jener Ängste zu erkennen glaubte, welche neuerdings ob der sonderbaren Aufführung ihres Gemahls von ihrer Seele so sehr Besitz ergriffen hatten, daß sogar die tägliche Angst vor dem Hungertod davor verblaßt war ›geb’s Gott, ich verstünde dich nicht allzu gut. Alle Qualen der Entbehrung und des Hungers, ich hätte sie ertragen und hätte, jawohl, auch dich darunter leiden sehen können, – allein, wenn ich daran denke, welch fürchterliche Dinge du jetzt bisweilen äußerst, ja welch entsetzliche Gedanken du im Schlaf verrätst, wenn ich an all dies denke und zu erraten suche ...‹
›Da gibt’s nichts zu erraten‹, unterbrach sie Walberg. ›Ich will dir alles sagen.‹ Bei diesen Worten wechselte seine Miene vom Ausdruck der Verstörung zu jenem der völligen Klarheit und ruhigen Sicherheit, – seine Züge glätteten sich, sein Auge flackerte nicht länger, die Stimme wurde fest. – ›Seit jener Unstern über unserm Hause aufgegangen, habe ich allnächtlich die Gassen durchstreift und auf der Suche nach Abhilfe jeden vorbeikommenden Fremden angesprochen. Seit einiger Zeit aber treffe ich allnächtlich mit dem Bösen Feinde zusammen, der ...‹
›Halt ein, mein lieber Mann, und gib so schrecklichen Gedanken nicht länger in dir Raum, – sie sind ja nichts als Ausgeburten eines von all der Unbill verstörten Geistes!‹
›So hör doch, Ines: ich sehe seine Gestalt ebenso deutlich wie ich dich sehe. Ich vernehme seine Stimme nicht weniger klar, wie du in diesem Moment die meine vernimmst. Er ist ein Mann in seinen besten Jahren, von ernsthaftem und gesetztem Auftreten. Nichts sonderlich Bemerkenswertes ist an ihm, bis auf seinen glosenden Blick, dessen Strahl man kaum zu ertragen vermag. Er hat mir angeboten – und auch bewiesen, daß es in seiner Macht steht –, mich mit allem zu beschenken, wonach menschliche Begierde verlangen mag, freilich nur unter der einen Bedingung, daß ... Ich wag’ es nicht, zu sagen! Es ist ein so fürchterliches, gottloses Ansinnen, daß schon dessen Anhörung kaum weniger verwerf lieh ist als seine Annahme.‹
Ines wurde unwillkürlich an einige vage Gerüchte erinnert, die sie in früher Jugend, noch ehe sie Spanien den Rücken gekehrt, vernommen hatte, – an Gerüchte, darin von einem Wesen die Rede gegangen, dem verstattet war, das Land zu durchstreifen und Menschen, die sich in äußerster Not befanden, mit dem immer gleichen Angebot in Versuchung zu führen, mit einem Angebot, welches jedoch in allen Fällen zurückgewiesen worden, und wäre das Opfer auch noch so verzweifelt und dem Tode nahe gewesen.
›Aber bist’s nicht du gewesen‹, sprach sie, ›welcher mich zu allererst gelehrt hat, daß das wahre Heil allein in der Heiligen Schrift zu finden ist? Dort indes steht nichts geschrieben von ›Selbsterniedrigung‹ und fruchtloser Kasteiung. Vielmehr habe ich dort gelesen, daß über Gottes auserwähltes Volk Armut, Jammer und Qual verhängt wurden! Wie sollten wir da aufbegehren, dem Beispiel jener zu folgen, welche du selbst mir als ein Vorbild allen Erduldens vor Augen geführt? Sie haben den Verlust all ihrer Güter ertragen, – sie haben in der Wüste gelebt, mit Schaf- und Ziegenfellen ihre Blöße bedeckend, – sie haben der Sünde bis aufs Blut widerstanden. Nun aber ist unsere Stunde gekommen und schneidet tief in unser eignes Fleisch!‹
›Dies ist wohl wahr!‹ sagte Walberg mit Schaudern. ›Doch mit diesen meinen Augen sehen zu müssen, wie meine Kinder Hungers sterben, das käm’ für mich dem augenblicklichen Selbstmord gleich. und der verstocktesten Verzweiflung. Wenn ich jenen fürchterlichen Pakt eingehe, mag es noch immer sein, daß er mich doch noch reut, – daß doch noch der Verdammnis ich entgehe! – So gibt’s auf dieser Seite doch noch Hoffnung, – nur auf der anderen ist keine – keine – keine! Zeig mir den Weg, auf welchem wir zur nächsten Mahlzeit kommen, und ich will den Versucher anspeien und ihn mit Füßen treten! – Wie aber wäre dies ins Werk zu setzen? – So laß mich denn gehen, ihn zu treffen! – Du wirst doch für mich beten,
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