Melmoth der Wanderer
Ines, nicht wahr? – Du und die Kinder? – Doch nein, die Kinder nicht! Laß sie für mich nicht beten! Ich habe ja in meiner Verzweiflung selber das Beten verlernt, und so wäre ihre Fürbitte nichts als ein Vorwurf für mich. – Ines! – Wie – rede ich denn zu einer Leiche?‹ Es hatte in der Tat den Anschein, weil nämlich das arme Weib besinnungslos zu seinen Füßen lag. ›Dem HErrn sei’s gedankt!‹ rief er zum andern Male aus tiefster Brust, da er sie so leblos hingestreckt erblickte. ›Dem HErrn sei’s gedankt! So hat denn ein einzig Wort genügt, sie zu töten, – und dies ist wahrlich ein sanfterer Tod als verhungern zu müssen! Ja, noch mit diesen meinen Händen sie zu erwürgen, es wäre ein sanftrer Tod für sie gewesen! Doch nun auch noch die Kinder!‹ rief er aus, dieweil die schrecklichsten Gedanken ihm durch den schwankenden, aufgewühlten Sinn schössen, und er eines Ozeans Sturmestoben zu hören und die Brandungswogen zu seinen Füßen aufschäumen zu sehen vermeinte, und jede dieser Wogen war aus Blut. ›Doch nun auch noch die Kinder!‹ Sprach es und tastete nach irgendeinem Instrument des Mordes, und so geriet das rechte Handgelenk ihm in die Linke, er packte zu, als wär’s ein Schwert in seiner Hand, und rief: ›Dies wird es tun, – zwar werden sie sich wehren, – um ihr Leben bitten, – ich aber will ihnen sagen, daß ihre Mutter mir tot zu Füßen liegt, und darauf gibt’s wohl keine Antwort mehr! Doch halt!‹ besann sich der Unglückliche, indem er sich setzte und zur Ruhe zwang. ›Was sag’ ich ihnen bloß, sobald sie weinen? – So sag’ ich ihnen denn, daß ihre Mutter tot ist!‹ Er rief’s und taumelte zur Tür, die in das Schlafgemach der Kinder führte. ›Tot – tot auf einen Streich! Dies soll die Antwort und das Urteil sein!‹ Dies gesagt, taumelte der Unselige auf die Betten seiner Kinder zu.
›Vater! – Mein Vater!‹ schrie Julia auf. ›Sind dies Eure Hände? Oh laßt mich leben, und ich will alles ...‹
›Vater! – Teuerster Vater!‹ weinte auch Ines ›verschont uns doch! – Der neue Tag, er wird uns schon ein Brot bescheren!‹
Und der Jüngste, aus seinem Bett springend, umklammerte schluchzend seines Vaters Knie: ›Vergebt mir liebster Vater! – Allein, ich hab’ geträumt, es war ein Wolf in der Kammer, der hat uns die Gurgel zerissen. Und ich habe so lange geschrien, ich glaubte schon, Ihr wolltet nimmer kommen. Und jetzt, – ach Gott! – ach Gott!‹ und er spürte die Hände des Rasenden schon an seiner Kehle ›und jetzt seid Ihr selber der Wolf!‹
Zum großen Glück waren aber diese Hände zu sehr entkräftet von eben der Konvulsion, welche solchen Akt der Verzweiflung erst heraufbeschworen hatte. Die Mädchen waren vor Entsetzen in eine Ohnmacht gesunken, welche ihnen den Anschein von Toten gab. Der Jüngste aber war schlau genug, sich alsbald tot zu stellen, indem er die Glieder streckte und den Atem anhielt unter dem ungestümen, aber nachlassenden Griff, welcher des Kindes zarte Kehle umspannte, sie losließ, – wieder packte, – um sich zuletzt wie nach einem Krampf zu lösen.
Da nun – wie der unselige Vater dachte – alles vorüber war, verließ er die Kammer. Dabei strauchelte er abermals über den totengleichen Körper seines Weibes. – Ein Stöhnen verriet ihm, daß die Dulderin noch nicht ausgelitten. ›Wie wird mir?‹ sprach der im Fieberwahn Taumelnde, »erhebt die Tote Klage wieder mich – oder klagt ein letzter Lebenshauch mich um der schlecht getanen Arbeit willen an?‹
Dies gesagt, setzte er den Fuß auf seines Weibes Körper, doch wurde in diesem Moment laut gegen das Tor gepocht. ›Man kommt schon, mich zu holen!‹ rief Walberg, der in seinem Wahn alle Stadien vom Meuchelmord bis zum Tribunal durchlief. ›Wohlan! – So tretet näher, – klopft nochmals, rüttelt an der Klinke, verschafft euch Einlaß nach Belieben! – Hier sitze ich, umgeben von den Leichen meiner Teuren! – Ich hab’ sie hingemordet – ich gesteh’s! – Ihr kommt, ich weiß es wohl, um mich zur Folter abzuholen, – doch nimmermehr vermögen all die Martern, die ihr mir zufügt, stärker mich zu quälen, als jener Anblick all der Hungersqualen! Nur zu, herein, herein, – die Tat, sie ist getan! Zu meinen Füßen liegt der Leichnam meines Weibes, vom Blute meiner Kinder kleben mir die Hände, – was also hätt’ ich Schlimmres noch zu fürchten?‹ Das Klopfen an der Tür wurde lauter und lauter, – die Klinke
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