Melmoth der Wanderer
gab nach, – und drei Gestalten betraten Walbergs Zimmer. Walberg jedoch achtete ihrer nicht, sein Blick war starr ins Leere gerichtet, – seine Hände waren ineinander verkrampft, – und er rührte keinen Finger.
»Erkennt Ihr uns denn nicht?‹ fragte der vorderste, indem er seine Laterne emporhob. Vor Walberg stand der wohlmeinende Gottesmann, jener ehemalige Beichtvater Guzmans, und seine bleichen, von Alter und Entbehrung abgehärmten Züge, sie schienen mit einem Freudenlächeln zu kämpfen, das über all die Runzeln und Fältchen hinzitterte.‹ Dahinter ward Walbergs greiser Vater sichtbar, der völlig geistesabwesend zu sein schien und in dem Versuch, sich zu sammeln, von Zeit zu Zeit das schneeige Haupt schüttelte, als frage er sich, was er denn hier zu suchen habe und weshalb er kein Wort hervorbringen könne. Gestützt wurde er von Eberhards jugendlicher Gestalt, über deren Antlitz ein Leuchten irrlichterte, zu hell, als daß es hätte von Dauer sein können, und unverweilt gefolgt von der Blässe der Erschöpfung.
Es war Walberg, der als erster das Schweigen brach. ›Ich kenne euch nur zu gut‹, sprach er in hohlem Ton. ›Ihr seid gekommen, mich zu holen, – ihr habt mein Geständnis vernommen, – was zögert ihr noch? So schleppt mich denn hinweg, – ich würd’ ja gerne selber mit euch kommen, wenn ich’s nur könnte, – allein, mir ist, als wär’ an diesem Stuhl ich festgenagelt, – so liegt’s an Euch, mich von hier fortzubringen.‹
In Anhörung solcher Worte hatte sich sein ihm zu Füßen darniedergestrecktes Weib zwar langsam, doch entschlossen erhoben. Und dieweil sie von der ganzen Szene nichts als den Sinn von Walbergs letzten Worten verstanden, schlang sie die Arme um ihn, als wollte sie verhindern, daß der Gatte ihr entrissen werde, und starrte die Umstehenden in ohnmächtiger, entgeisterter Abwehr an. ›Wie! So stehen die Toten auf, um wider mich zu zeugen?‹ rief Walberg. ›Wohlan, so ist’s denn an der Zeit, zu gehen!‹ Und er versuchte, sich zu erheben.
›Bleibt sitzen, Vater‹, legte Eberhard sich ins Mittel, indem er rasch herzutrat und den Bedauernswerten festhielt. »Bleibt sitzen, wo Ihr seid, – wir haben gute Zeitung, und dieser gute Priester ist gekommen, sie Euch mitzuteilen. – So hört ihn an, mein Vater, dieweil ich selbst nicht länger sprechen kann.‹
Alle umdrängten nun den Priester, teils voll Entsetzen, teils voll des Trostes, sämtlich aber voll Begier, jene Botschaft zu enthüllen, welche ihnen auf dem Herzen lag, zugleich aber voll der Furcht, solche Fracht könnte zu schwer sein für dies gebrechliche Fahrzeug, welches vor ihnen auf den Wogen tanzte, als brächte schon der nächste Windstoß es zum Kentern.
›Wir haben seinen letzten Willen‹, rief er unvermittelt ›das echte Testament des alten Guzman! Das andre war – Gott und alle Heiligen mögen mir das harte Wort vergeben – bloß eine üble Fälschung. Doch nun ist der Wille gefunden, und Ihr, zusammen mit Eurer Familie, seid die Erben all jenes Reichtums!‹
›Der Letzte Wille meines Oheims ist gefunden‹, wiederholte Eberhard.
›Der Wille ist gefunden, mein Herzensgemahl‹, rief Ines, welche bei dieser Nachricht unverweilt ihr volles Bewußtsein wiedererlangt hatte. ›Hörst du es denn nicht, mein lieber Mann? Wir sind reich, – sind aller Sorgen ledig! So sag doch etwas, mein Herz, und schau nicht immer so ins Leere, – sag etwas!‹
Schließlich schien Walberg die Bedeutung all des Gesagten zumindest vage erfaßt zu haben, denn er blickte um sich und tat einen herzzerbrechenden Seufzer. Jedermann schwieg stille und hing mit den Augen an seinen Lippen. ›Reichtum! – Reichtum! – Du kommst zu spät. Da! – Da! – So seht doch!‹ und er wies auf die Kammer, darin seine Kinder lagen.
Mit einer entsetzlichen Vorahnung im Herzen stürzte Ines in dieselbe und wurde ihrer leblos darniedergestreckten Kinder ansichtig. Der gellende Aufschrei, welcher von ihren Lippen kam, rief unverzüglich den Priester und ihren Sohn auf den Plan, indes Walberg und dessen greiser Vater allein zurückblieben und einander in völliger Stumpfheit anstarrten. Es währte lange, bis die beiden Töchter aus ihrer totenähnlichen Ohnmacht erwachten, und noch länger, bis ihr Vater davon überzeugt worden war, daß die Arme, die ihn da umschlungen hielten, sowie die Tränen, die auf seine kalte Wange fielen, diejenigen seiner dem Leben wiedergeschenkten Kinder waren.
Die
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