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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Glückseligkeit, sie ist eine wirksame Arznei: binnen weniger Tage schon schienen all die aufgewühlten Gemüter sich wieder geglättet zu haben.
    Die gesamte Familie brach nach Deutschland auf, woselbst sie noch heute herrlich und in Freuden lebt. Doch bis auf den heutigen Tag macht Walberg der Gedanke an jene fürchterlichen Versuchungen durch den Fremden, welchem er auf den nächtlichen Streifzügen zur Zeit seiner ärgsten Notlage begegnet, vor Entsetzen schaudernd, und das Schreckliche jener Heimsuchung scheint sich seinem Gedächtnis noch tiefer eingeprägt zu haben als der Anblick seiner eines langsamen Hungertodes sterbenden Familie.

     
    ›Es gibt auch andere Berichte über jenes rätselvolle Wesen‹, fuhr der Erzähler fort, ›und es hat mich viel Mühe gekostet, in deren Besitz zu gelangen, dieweil ja all die Unglücklichen, welche den Versuchungen des Fremden ausgesetzt waren, solches Mißgeschick für die ärgste Sünde ansehen und alle Einzelheiten der entsetzlichen Heimsuchung ängstlichst geheimzuhalten suchen. Allein, die Uhr ist spät, und Ihr bedürft der Ruhe nach all den Beschwernissen Eurer Reise.‹ – Dies gesagt, zog sich der Fremde zurück.

     
    Don Francisco blieb reglos auf seinem Schemel sitzen, der seltsamen Geschichte nachsinnend, welche er soeben vernommen, bis die vorgerückte Stunde ihn im Verein mit der Reisemüdigkeit und der Erschöpfung nach all der gespannten Aufmerksamkeit, die er der Erzählung des Fremden gezollt, unmerklich in einen tiefen Schlummer sinken ließ. Alsbald aber erwachte er wegen eines leisen Geräusches in seiner Kammer und gewahrte im Aufblicken, daß ihm gegenüber eine andere Person Platz genommen, die jemals gesehen zu haben er sich nicht entsinnen konnte, obschon sie die nämliche war, welcher man noch gestern den Eintritt unter dies Dach verwehrt hatte. Auf Don Franciscos überraschten, fragenden Blick hub er zu sprechen an, indem er sagte, er sei ein Reisender und habe, nachdem man ihn irrtümlich in dies Logis eingewiesen, und er dessen Bewohner schlafend vorgefunden, sich die Freiheit genommen, hier zu verweilen. Doch sei er durchaus willens, sich unverzüglich zurückzuziehen, im Falle seine Gegenwart als eine zudringliche empfunden werden sollte.
    Don Francisco hieß den ungebetenen Gast mit gemessener Würde willkommen, freilich nicht ohne ein gewisses Gefühl des Erschreckens, dessen Herkunft er sich kaum zu erklären vermochte. Und die Art, wie der Fremde solchen Willkomm erwiderte, war in nichts dazu angetan, dies sonderbare Gefühl zu zerstreuen. Lange Zeit sagte keiner ein Wort. Der Fremde (der seinen Namen nicht genannt hatte) brach als erster das Schweigen, indem er um Vergebung dafür bat, daß er, in einem benachbarten Raum sitzend, unwillkürlich Ohrenzeuge jener außergewöhnlichen Erzählung oder auch wahren Begebenheit geworden sei, die man dem Don Francisco berichtet habe. Doch werde die tiefe Anteilnahme, welche er eingestandenermaßen (und dabei verbeugte er sich mit dem Ausdruck einer grimmigen und widerwilligen Artigkeit) in Anhörung solcher, nicht für seine Ohren bestimmten, Geschichte empfunden, die unziemliche Neugierde zumindest verständlich erscheinen lassen.
    Nach längerem Schweigen hub er abermals an: ›Mir scheint, Ihr habt da eine abenteuerliche und schreckliche Geschichte über ein Wesen vernommen, das mit einer unaussprechlichen Botschaft in der Welt umherirrt, ja sogar die leidenden Seelen in deren äußerster, irdischer Bedrängnis dazu überreden will, für die Erlösung von ihren zeitlichen Nöten die Hoffnung auf ihre ewige Seligkeit hinzugeben.‹
    ›Davon hab’ ich nichts vernommen‹, versetzte Don Francisco, dessen schon von Natur aus nicht sehr klares Auffassungsvermögen durch die Länge jener Erzählung sowie durch den darauffolgenden Schlummer nicht eben klarer geworden war.
    ›Nichts, sagt Ihr?‹ fragte da der seltsame Gast so unvermittelt und schroff, daß sein Gegenüber zusammenzuckte. »Wirklich nichts? Wurde da nicht eines unseligen Wesens Erwähnung getan, dessen versucherisches Treiben Walberg eingestandenermaßen so sehr zu schaffen gemacht hatte, daß dagegen selbst der drohende Hungertod kaum ins Gewicht gefallen?‹
    ›Ja – Ja, natürlich‹, erwiderte Don Francisco in plötzlichem Erinnern. ›Da war doch die Rede vom Satan – oder einem seiner Unterteufel ...‹
    ›Senor‹, fiel ihm da der Fremde mit schneidendem, ungezügeltem Hohn ins Wort, für welchen Aliaga freilich

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