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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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schreckte, in welchen jener gegen Morgen verfallen war. Von seinem Faulbett auffahrend stolperte der Gottesmann in Isidoras Schlafgemach und erblickte daselbst des friedlich schlummernden Mädchens Gestalt vor sich auf dem Lager ausgestreckt.
    ›Ach, hochwürdigster Vater – heiligster Vater!‹ zeterte Donna Clara, indem sie sich an ihn klammerte. ›Dies ist ja ein teuflich Blendwerk der Hölle gewesen! So seht doch nur, wie tief sie schläft, obgleich wir am hellichten Tage neben ihrem Bett uns bereden!‹
    ›Welch ein großer Irrtum, meine Tochter‹, versetzte der Priester. ›Unzweifelhaft hat ja Eure Tochter eine überaus anstrengende Nacht hinter sich, und das nämliche läßt sich über Euch und über mich sagen, wenngleich aus anderen Gründen. Indes, jeder dieser Gründe gibt uns Anlaß, in rechtschaffener Müdigkeit eines tiefen Schlafes zu begehren.‹
    Pater José begab sich zurück in sein Zimmer und ließ sich auf einen Stuhl fallen, um in seinem Geist all die Kalamitäten und Perplexionen dieses Hauses zu überschlagen, bis er schließlich, von solchem Gegenstand überwältigt, wieder einschlief.
    Indes, er wurde zu früherer Stunde als ihm lieb war durch einen Zettel der Donna Clara geweckt, welche in der ratlosen Bekümmernis ihrer Beschränktheit, und stets daran gewöhnt, sich auf fremde Hilfe zu verlassen, nunmehr sich einbildete, jeder ihrer selbständigen Schritte müßte augenblicks und unverweilt zur Katastrophe führen.
    Ihr hauptsächliches Anliegen bestand darin, vnach Möglichkeit das Verschwinden ihrer Tochter in dieser ereignisreichen Nacht geheimzuhalten. Und sobald sie herausgefunden, daß keiner der Domestiken davon Kenntnis zu haben schien, und daß von dem ganzen, zahlreichen Personal bloß ein einziger, bejahrter Diener fehlte, dessen Abwesenheit aber bei der großen Zahl untätig herumlungernder Dienstboten einer spanischen Haushaltung nicht weiter auffiel, begann unsere Donna Clara wieder Mut zu fassen. Solche Zuversicht wurde noch weiter gesteigert durch jenes Handschreiben, darin Aliaga von der Notwendigkeit Mitteilung machte, eine entlegene Gegend Spaniens aufzusuchen, sowie von der Verzögerung, welche die Hochzeit seiner Tochter mit Montilla durch die Krankheit von dessen Vater erfahren müsse. – Diese Worte tönten Donna Clara in den Ohren, als wäre damit ein Strafaufschub ausgesprochen worden, und sie unterredete sich mit ihrem geistlichen Berater, welcher ihr weiteren Trost zusprach, indem er meinte, es wäre bloß ein geringes Übel, falls Donna Isidoras Eskapade ruchbar würde. Bliebe dieselbe aber unbekannt, so stünde überhaupt nichts zu befürchten. Und er empfahl der Donna Clara aufs angelegentlichste, sie möge sich des Schweigens der Dienstboten mit Hilfe jener Mittel versichern, welche, wie er bei seiner Kutte schwur, unfehlbar wären, dieweil er dergleichen auch in einer weit mächtigeren und weitläufigeren Haushaltung als in dieser festzustellen die Gelegenheit gehabt.
    ›Aber, hochwürdiger Vater‹, entgegnete Donna Clara ›ich kenne keine Haushaltung eines Spanischen Granden, welche die unsere an Glanz überträfe!‹
    ›Aber ich, meine Tochter, – aber ich!‹ versetzte der Priester. ›Doch genug davon, geht jetzt, Eure Tochter zu wecken, welche, meiner Seel’, verdienen würde, bis zum Jüngsten Tage durchzuschlafen, dieweil sie das Frühstück völlig vergessen zu haben scheint!‹
    Er hatte es kaum gesagt, als Isidora auch schon das Zimmer betrat. – Sowohl die Mutter als auch der Priester standen starr vor Staunen. Des Mädchens Züge wirkten so gelöst, sie setzte den Fuß in solchem Gleichmaß, und ihr Mienenspiel war so gefaßt, als hätte sie keinerlei Ahnung von all dem Entsetzen und der Bekümmernis, welches ihr nächtliches Verschwinden hervorgerufen hatte. Auf die erste Stille der Überraschung erfolgte eine wahre Sturzflut von Fragen, welche Donna Clara und Pater José im stürmischsten Duett vortrugen, dessen Wechselgesang aus einem einzigen Warum-Wo-hin-Weshalb-und-Was, – mit-Wem-und-Wann-und-Wie bestand. Indes, die beiden hätten solche Mühe sich ebensowohl sparen können, dieweil ja weder an diesem Tage noch an einem der vielen darauffolgenden die Vorhaltungen, eindringlichen Fragen und Drohungen der Mutter, unterstützt von der geistlichen Autorität und der dieselbe noch übertreffenden Besorgnis des Priesters Isidora auch nur ein einziges, erklärendes Wort über den Grund ihrer Abwesenheit in jener Schreckensnacht zu

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