Melmoth der Wanderer
entlocken vermochten. Sobald man nämlich der Befragten so ernsthaft und dringlich zusetzte, schien ihr Gemüt etwas von jenem ungebundenen, doch kraftvollen Geist der Freiheit anzunehmen, welcher noch aus ihrem früheren Inseldasein herrühren mochte.
Pater José, zornentbrannt, ob solcher Halsstarrigkeit und voll Angst, seinen Einfluß über dies Haus zu verlieren, drohte ihr, sie von der Heiligen Beichte auszuschließen, wenn das Mädchen ihm auch weiterhin das Geheimnis jener Nacht vorenthielte.
›So will ich denn meine Beichte vor Gott ablegen‹, versetzte daraufhin Isidora.
Das Mädchen verhielt sich weiterhin ehrerbietig, doch verharrte sie in standhaftem Schweigen. Angesichts so verzweifelter Lage kam Donna Clara mit dem Pater José überein, dem Vater wie dem Bruder gegenüber keine Silbe von dem Vorgefallenen zu erwähnen.
Indes, das Geheimnis sollte nur zu bald offenbar werden. Innerhalb der folgenden Monate bewirkten die Besuche ihres Gatten, daß Isidoras Gemüt von Vertrauen und gelassener Ruhe erfüllt wurde. Und es keimte in ihr jene Hoffnung auf, die ja stets aus der keuschen Kühle weiblicher Herzen erwächst, nämlich, daß der Einfluß solchen Herzens eines Tages sich über alle Ungestalt und Leere breiten würde gleich dem Geiste, der da über den Wassern geschwebt, und daß auf solche Weise der ungläubige Ehegatte doch noch durch den Glauben seines Weibes gerettet werden könnte.
In solcherlei Gedanken fand sie ihren Trost, und es war gut, daß sie so trostvollen Gedanken sich hingeben konnte, dieweil ja alle Fakten die schlechtesten Verbündeten in jenem Kampfe sind, den die Imagination mit der Hoffnungslosigkeit auszufechten hat. – In einer jener Nächte, da Isidora ihrem Melmoth entgegenharrte, traf derselbe sie über dem Singen ihres üblichen Marienliedes an, zu welchem sie sich auf der Laute begleitete.
›Ist es nach Mitternacht die rechte Stunde, um deiner Jungfrau Lieder vorzusingen?‹ so frug er sie mit geisterhaftem Lächeln.
›Man hat mich gelehrt, daß ihr Ohr uns allzeit offensteht‹, versetzte Isidora.
›Wenn dem so ist, Geliebte‹, sagte Melmoth, der nach Gewohnheit sich durchs Fenster schwang ›dann sing noch einen Vers zu meinen Gunsten.‹
›Ach!‹ erwiderte Isidora, indem sie ihje Laute sinken ließ. ›Du glaubst ja nicht an das, Geliebter, was unsere Heilige Kirche uns zu glauben gebietet!‹
›Ich glaub’ daran, sobald ich dich vernehme.‹
›Gehst du denn jemals in ein Gotteshaus?‹ fragte Isidora bekümmert. Ein tiefes Schweigen folgte. – ›Empfängst du jemals das Allerheiligste Sakrament des Altars?‹ – Darauf äußerte Melmoth kein einziges Wort. – ›Hast du mir jemals auf mein flehentliches Bitten hin gestattet, zu meiner Familie von jenem Band zu sprechen, das uns verbindet?‹ – Es kam keine Antwort. – ›Und jetzt, da ich – vielleicht – auch, ich wag’s nicht zu sagen, wie mir ums Herz ist! Wie denn soll ich weiterhin unter den Blicken jener leben, die mich eben jetzt so argwöhnisch beobachten? – Was soll ich nur sagen? – Ein Eheweib ohne Gemahl, – eine Mutter ohne Vater für ihr Kind, oder doch nur mit einem, der ihr mit fürchterlichem Eid die Zunge gebunden! Ach – Melmoth, so hab doch Mitleid mit mir, – erlöse mich aus diesem Leben des Zwanges, der Falschheit und der Heuchelei! Fordere mich als dein dir angetrautes Weib im Angesichte der Familie für dich, – und ich will als dein angetrautes Weib im Angesichte des Ruins dir folgen, will dir anhängen in der tiefsten Treue, und, wenn es sein soll, mit dir untergehn!‹
Damit schlug sie die Arme um ihn und benetzte seine Wange mit ihren kalten, aber aus tiefstem Herzen kommenden Tränen. Melmoth fing die weißen, ihm flehend entgegengestreckten Arme ab, – er musterte sein, Opfergemahl, mit einem furchtbaren und gespannten Blick, dieweil er fragte: ›Und ist’s denn wirklich war, was du da sagst?‹
Bei dieser Frage schrak das totenbleiche und zitternde Weib aus Melmoth’s Armen zurück und antwortete bloß mit ihrem Schweigen. Er aber fühlte sein gequältes Herz noch in den Ohren pochen. Dies Kind, so sprach er bei sich, ist von mir, – es ist die Frucht der Liebe, ist das Erstgeborene des Herzens und der Lenden, – es ist mein eigen Kind, – es ist das meine, – und was auch immer aus mir werden mag, nun wird ein Wesen hier auf Erden wandeln, an Antlitz und GestaU dem Vater ähnlich, ein Wesen, das gewiß man lehren wird, für mich zu beten,
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