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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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Das Maultier blieb augenblicklich stehen. Es heißt ja, daß namentlich Tiere einen besonderen Sinn für Wesen an den Tag legen, welche nicht von dieser Erde sind. Wie dem auch immer sein mag, jedenfalls stand Don Franciscos Reittier so unterschütterUch auf seinem Platz, als wäre es auf dem Boden festgenagelt, bis es sich beim Herannahen jenes Fremdlings abermals in Galopp setzte, welchen freilich der Verfolger, der mit einer überirdischen Leichtigkeit voranzukommen schien, alsbald eingeholt hatte, so daß innerhalb kürzester Zeit eine einzigartige Gestalt mit Don Francisco Seite an Seite ritt.
    ›Wir sehn uns wieder, Senor‹, sprach der Fremde und lächelte sein sonderbares Lächeln ›und sehn uns Euch zum Glücke, will mir Schemen. Der Führer, den im voraus Ihr bezahltet, er hat sich mit dem Geld davongemacht, und Eure Diener kennen nicht die Straßen, die übrigens in diesem Teil des Landes recht sehr verworren sind. Doch wolltet Ihr Euch meiner Führung anvertraun, so glaub’ ich, Ihr hättet ob so günstiger Begegnung wohl allen Grund, Euch selbst zu gratulieren!‹
    Don Francisco, nur zu gut erkennend, daß ihm keine andre Wahl blieb, ergab sich schweigend in sein Los und ritt, wenngleich nicht ohne innerliches Widerstreben, neben seinem sonderbaren Kompagnon einher. Nach einiger Zeit wurde dies Schweigen durch des Fremden Hinweis auf jene Ansiedlung unterbrochen, welche Don Francisco für sein Nachtquartier vorgesehen, und die sich nunmehr in nicht allzu großer Entfernung den Blicken bot. Auch kamen jetzt die Diener, welche die gleiche Entdeckung gemacht hatten, wieder in Sicht und näherten sich ihrem Herrn. All dies bewirkte, daß Aliaga seine Zuversicht wiederfand, und so ritt er denn ein wenig gefaßter voran, ja, er begann sogar den Reden des Fremden mit größerer Anteilnahme zu lauschen, und dies um so mehr, als er gewahrte, obschon das Ziel ihres Rittes in relativer Nähe sich befand, der überaus gewundene Straßenverlauf ihre Ankunft noch um mehrere Stunden hinauszögern mochte. Der Fremde schien nunmehr entschlossen, das einmal geweckte Interesse aufs höchste zu steigern, denn er entfaltete alsbald alle Schätze seines reichen und so weitläufig ausgestatteten Geistes und verstand es, indem er gewandt sein großes Allgemeinwissen mit Einzelheiten über jene Länder des Ostens würzte, darin Aliaga so lange geweilt, und deren Handelsbedingungen sowie Lebensgewohnheiten der Sprecher von Grund auf zu kennen schien, durch ein Gespräch, das eine minuziöse Vertrautheit mit allen Punkten des Geschäftslebens verriet, seinen Reisegefährten dergestalt zu fesseln, daß für denselben der anfangs so schreckliche Tag sich nun in angenehmster Weise dem Abend zuneigte, und Aliaga seines neuen Kompagnons Ankündigung, er beabsichtige, die Nacht in der nämlichen Herberge zu verbringen, mit Wohlgefallen (das freilich mit einigen ängstlichen Bedenken untermischt war) zur Kenntnis nahm.
    Auch der Abend verlief in harmonischer Stimmung, und erst nachdem das Abendbrot fortgeräumt und die Lampe auf den Tisch gesetzt worden, an welchem der Fremde und Aliaga Platz genommen, tauchte vor des letzteren Auge abermals die gräßliche Vision der vergangenen Nacht auf. Plötzlich vermeinte er, den Leichnam in einer Ecke der Kammer liegen und mit der Totenhand mahnend herüberwinken zu sehen, wie zur Warnung vor so schwefliger Gesellschaft. Allein, die Vision löste sich in nichts auf, – Aliaga hob den Bück – und sah, daß sie ganz allein waren.

DREISSIGSTES KAPITEL
    Cum mihi non tantum furesque feraeque suetae,
    Hunc vexare locum, curae sunt atque labori;
    Quantum carminibus quae versant atque venenis,
    Humanos animos. [23]
    Horaz

     
    »›Ich begreife nicht‹, sprach Don Aliaga am Abend des folgenden Reisetages bei sich ›ich begreife einfach nicht, wie dieser Kerl jetzt schon den ganzen Tag neben mir einherreitet, ohne das Maul auf zutun!‹
    ›Senor‹, hub in diesem Moment der Fremde an, erstmals an diesem Tage den Mund auf tuend, als hätte er in Aliagas Gedanken gelesen. ›Gestattet mir eine sehr kurze Geschichte zu erzählen, der Ihr, so schmeichle ich mir, wohl mit einer ganz speziellen Anteilnahme werdet lauschen können.‹
    ›Einer sehr kurzen, sagtet Ihr?‹ vergewisserte sich Aliaga.
    ›Es war einmal‹, so begann der Erzähler ›ein spanischer Kaufherr, dessen Geschäfte lange Zeit aufs beste gediehen waren. Allein, mit den Jahren begannen seine Unternehmungen eine ungünstige Wendung

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