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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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von dir genommen werde! Vielleicht verharrst du gegenwärtig in einem Zustand, über welchen ich mir kein Urteil zu bilden, und über den ich auch keines auszusprechen vermag. So möge denn der HErr dir gnädig sein, und auch das Heilige Tribunal, es möge dich in sein Erbarmen einschließen!‹
    ›Bleibet dennoch, mein Vater, – nur noch diese eine Sekunde, – nur diese einzige noch, – nur für eine allerletzte Frage!‹ Und bei diesen Worten hob Isidora ihre bleiche, unschuldige Zellengefährtin von dem Strohsack, auf welchem sie geschlummert, und hielt dies Kind dem Gottesmann entgegen. ›Sagt mir nur noch dies eine, mein Vater: kann dies denn das Kind eines Dämons sein? Wär’s denn möglich, daß dies kleine Wesen, welches mir, – welches Euch zulächelt, dieweil Ihr es innerlich verwünschet, wirklich des Teufels sein sollte? – Ach, Eure eigne Hand ist es gewesen, die dies Kind mit dem Heiligen Taufwasser benetzt hat! – Euer Mund hat Segensworte darüber gesprochen! Ach, mein Vater, laßt jene mich mit ihren Zangen kneifen, laßt sie mich auf ihrem Feuer rösten, – doch sagt mir, wird man dieses Kind verschonen, – mein unschuldig Kindlein, welches Euch eben jetzt wieder zulächelt? – Heiliger, teuerster Vater, ich bitt’ Euch, nehmt Euch seiner an!‹ Und sie rutschte auf den Knien hinter dem Pater her, indem sie den elenden Säugling noch immer emporhielt, dessen dünnes Gewimmer und todkrankes Aussehen Anklage genug war gegen das Kerkerdasein, zu welchem sein kaum begonnenes Leben verdammt worden war.
    Pater José, von unwiderstehlichem Mitleid ergriffen, war schon drauf und dran, dies armselige Geschöpfchen mit Küssen und Segenssprüchen zu überhäufen, als jene ferne Glocke zum andern Mal ertönte. Er eilte aus der Zelle und fand eben noch die Zeit, über die Schulter zu rufen: ›Meine Tochter, möge der HErr dich beschützen!‹
    ›Der HErr beschütze mich‹, sagte Isidora, indem sie ihr Kind an den Busen drückte. Da läutete die Glocke zum dritten Male, und Isidora wußte, daß die Stunde ihres Verhörs nahe war.‹«

VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Fürcht noch nicht des Fiebers Feuer,
    Nicht den Tod in dieser Welt;
    Fürchte, was mit immer neuer
    Pein das Alter uns vergällt
    Mason

     
    »Isidoras erste Vernehmung wurde mit all der umsichtigen Förmlichkeit vollzogen, welche seit je den Untersuchungen jenes Tribunals angehaftet. Die zweite und die dritte wurden ebenso genau, ebenso scharfsinnig und ebenso unwirksam geführt, und das Heilige Offizium begann der Ansicht zuzuneigen, daß auch seine höchsten Beamten dieser ungewöhnlichen Gefangenen nicht gewachsen waren, wie sie da vor denselben stand, den Gegensatz der Schlichtheit und der Großherzigkeit in sich vereinend, und alles aussagte, was sie selbst belasten mochte, aber sämtliche Fragen, welche sich auf Melmoth bezogen, mit einer Geschicklichkeit auswich, an der alle List inquisitorischer Vernehmungskünste zuschanden ward.
    Im Verlaufe des ersten Verhörs wurde auch die Möglichkeit der Folter angedeutet. Isidora aber, mit einer Würde, welche an jene unbefangene und naturgegebene ihres früheren Daseins gemahnte, lächelte bloß über solchen Hinweis. Einer der Offizialen flüsterte, da er solch eigentümlichen Gesichtsausdruck gewahrte, dem einen Inquisitor etwas zu, und so wurde der Folter kein zweites Mal Erwähnung getan.
    Zwar folgten jener ersten Vernehmung in großen Abständen noch eine zweite und dritte, doch zeigte sich, daß das Verfahren jedesmal weniger streng gehandhabt und die Gefangene nachsichtiger behandelt wurde: ihre große Jugend und Schönheit sowie die tiefe Schlichtheit ihres Wesens und ihrer Sprache entfalteten sich in solch einzigartiger Notlage besonders stark, und der rührende Umstand, daß Isidora stets mit ihrem Kindchen in den Armen zum Verhör erschien, wobei sie dessen schwaches Gewimmer zu sänftigen suchte, dieweil sie sich vorbeugte, um die an sie gestellten Fragen zu vernehmen und zu beantworten, – all dies schien eine nachhaltige Wirkung auf das Gemüt von Männern zu üben, welche sonst durchaus nicht gewohnt waren, äußeren Eindrücken nachzugeben. Auch war diesem schönen und anmutigen Geschöpf eine Fügsamkeit, ja Ergebenheit zu eigen, – ein reumütiger und lenkbarer Geist, – ein Erbarmen für all das Unheil, welches über ihre Familie hereingebrochen, und eine Gewißheit ob des eigenen Elends, daß sogar das Herz der Inquisitoren davon gerührt wurde.
    Nachdem bei

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