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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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all den wiederholten Befragungen nichts von der Gefangenen hatte in Erfahrung gebracht werden können, flüsterte ein geübter und versierter Kenner des Seelenlebens dem Inquisitor in Ansehung des Kindes, welches sie auf den Armen hielt, einen Rat ins Ohr. ›Sie hat der Streckfolter gespottet‹, gab dieser ihm zur Antwort.
    ›Nun, so versucht es doch mit jener Streckfolter ‹, erwiderte der Ratgeber und fand damit Gehör.
    Da man nun all die üblichen Formalitäten durchgegangen, wurde Isidora ihr Urteil verkündet. Man hatte sie unter dem Verdacht der Ketzerei zu lebenslänglicher Gefangenschaft im Kerker der Inquisition verurteilt, – das Kind sollte ihr weggenommen und in einem Kloster aufgezogen werden, auf daß ...
    Bei diesen Worten wurde die Verlesung des Urteils unterbrochen durch die Gefangene, welche mit einem qualvollen, aus tiefstem Mutterherzen kommenden Aufschrei, wie ein solcher noch von keiner Folter erpreßt worden, vor ihren Richtern zusammenbrach. Und da man sie wieder zu Besinnung gebracht, konnten weder Befehle noch die Schrecken solchen Ortes oder gar die Richter sie davon abhalten, in ihrem ungestümen und gellenden Flehen fortzufahren und mit Schreien, welche vermöge der Kraft, mit der sie hervorgestoßen sind, den Schreier zu immer weiteren Schreien hinreißen, die Richter zu bestürmen, sie mögen doch den zweiten Teil ihres Urteilsspruches aussetzen. Der erste hingegen schien keinerlei Eindruck auf die Gefangene geübt zu haben: ewige Einsamkeit in ewiger Düsternis, – dies schien ihr weder Furcht noch Qualen zu verursachen, allein, sie weinte und flehte und raste, man möge sie doch auf keine Weise von ihrem Kinde trennen.
    Die Richter hörten dem mit steinernem Herzen und in unverbrüchlichem Schweigen zu. Da Isidora aber gewahrte, daß alles vorüber war, erhob sie sich aus ihrer demuts- und peinvollen Haltung, und fast war’s wieder mit Würde, als sie mit ruhiger, veränderter Stimme darum bat, man möge ihr das Kind nicht vor dem morgigen Tage wegnehmen. Auch war sie ihrer Sinne wieder soweit mächtig, daß sie solche Bitte bekräftigen konnte mit dem Hinweis, es würde des Kindes Leben kosten, beraubte man es allzu unvermittelt jener Nahrung, welche es von der Mutter zu erhalten gewöhnt sei. Der Bitte wurde von den Richtern stattgegeben, und man brachte Isidora in ihre Zelle zurück.
    Die Zeit verstrich. Der Wärter, welcher Isidora das Essen gebracht hatte, verschwand ohne ein Wort. Auch sie hatte nichts zu ihm gesagt. Erst um die Mitternacht wurde die Zellentür aufs neue aufgeschlossen, wonach zwei Gestalten sich zeigten, welche die Kutten von Offizialen trugen. Die beiden hatten hagere und fahle Gesichter, ihr Gehaben war steinern und automatenhaft, – ihre Bewegungen schienen von einem aufgezogenen Räderwerk herzurühren, – und dennoch, selbst diese Männer schienen betroffen zu sein. Das erbärmliche Licht in der Zelle ließ sie kaum den Strohsack erkennen, darauf die Gefangene saß, doch der starke, rötliche Schein der Fackel, mit welcher der Wärter ihnen leuchtete, hob das Türgewölbe, unter dem die beiden eingetreten waren, grell aus der Düsternis. Sie näherten sich mit Schritten, welche ebenso gleichzeitig wie unwillentlich schienen, und stießen ihren Befehl hervor, als käme er aus ein und demselben Munde: ›Liefre uns dein Kind aus!‹
    Mit einer Stimme, die so heiser und teilnahmslos wie unnatürlich klang, sagte die Gefangene: ›Nehmt es euch!‹ Die Männer blickten suchend in der Zelle umher, – es schien, als wüßten sie nicht, wo in den Kerkerzellen der Inquisition ein Abkömmling der Menschlichkeit zu finden wäre. Die Gefangene verharrte während dieser Suche in reglosem Schweigen. Das Suchen währte nicht lange: die Enge des Raumes sowie dessen kärgliche Einrichtung bedurften keiner sonderlichen Prüfung. Sobald die beiden sich dennoch überall umgesehen, brach die Gefangene in ein gellendes Gelächter aus und rief: ›Wo sonst solltet ihr nach einem Kinde suchen, wenn nicht am Busen seiner Mutter? Hier – hier ist es, – nehmt es, – so nehmt es doch hinweg!‹ und sie hielt es den Männern entgegen. ›Oh, wie töricht seid ihr doch, mein Kind überall sonst, nur nicht am Busen seiner Mutter zu suchen! Nun ist es euer!‹ Und abermals rief sie in so gellendem Ton, daß es die Offizialen überlief: ›Nehmt es, – so nehmt es mir doch fort!‹
    Die Beamten des Heiligen Offiziums traten auf sie zu, doch wurde das Automatenhafte ihrer

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