Melmoth der Wanderer
häufig die Theatervorstellungen, welche dann als elegant und à la mode galten, wenn sich darüber sagen ließ:
Die Schönen bangten nach dem Höflings-Spiel Und jede Maske kam zu ihrem Ziel.
An einem Abend nun, es wurde der »Alexander« in der Fassung von Lee gespielt, gerieten Mrs. Barry, die Roxana, und Mrs. Bowtell, die Statira des Stückes, in der Bühnengarderobe einander in die Haare, einzig wegen eines Schleiers, den der Requisiteur Mrs. Bowtell in Bevorzugung der letzteren zugesprochen. Roxana bändigte ihre Wut bis zum fünften Akt, wo sie Statira mit einem Dolch zu durchbohren hatte. Sie führte denselben mit solcher Vehemenz, daß dessen Spitze den Schnürleib durchdrang und seiner Trägerin eine tiefe, wenngleich ungefährliche Wunde zufügte. Mrs. Bowtell wurde sofort totenbleich und fiel in Ohnmacht, die Vorstellung wurde unterbrochen, und in dem durch diesen Vorfall ausgelösten Aufruhr erhoben sich zahlreiche Besucher von ihren Plätzen, unter ihnen auch Stanton. Und eben dies war der Moment, da er auf der ihm gegenüberliegenden Seite den Gegenstand seiner nun schon vier Jahre währenden Suche erblickte – jenen Engländer, welchem er in der Ebene von Valencia begegnet und den er für denselben hielt, der damals in jener sonderbaren Erzählung vorgekommen war.
Nunmehr erhob sich auch der Fremde. Und obschon an seinem Äußeren nichts Besonderes oder Auffälliges war, hatten seine Augen doch einen Ausdruck, welchen man so wenig mißdeuten wie vergessen konnte. Stantons Herz pochte gewaltig, sein Blick verdunkelte sich, eine unbeschreibliche, tödliche Übelkeit befiel ihn, so daß es ihn am ganzen Körper überlief, und der kalte Angstschweiß, welcher ihm jetzt aus sämtlichen Poren hervorbrach, das Erscheinen des * * * ankündigte.
Noch hatte Stanton sich von seinem Entsetzen nicht erholt, da umfluteten ihn auch schon die Klänge einer sanften, getragenen und über die Maßen herrlichen Musik, welche zweifellos aus dem Fundament heraufstieg und fortwährend an Süße und Macht zunahm, bis das ganze Gebäude davon ertönte. Stanton, von einem plötzlichen, beglückten Staunen getrieben, wandte sich an einige der Umstehenden mit der Frage, woher sich an einige der Umstehenden mit der Frage, woher denn diese exquisiten Klänge kommen mochten, mußte jedoch aus der Art, wie ihm geantwortet wurde, erkennen, daß man ihn für einen Verrückten hielt.
»Bin ich als nächstes Opfer ausersehen?« dachte Stanton. »Und sind diese überirdischen Klänge, welche uns auf das Himmelreich vorzubereiten scheinen, einzig dazu angetan, die fleischliche Gegenwart des Bösen Feindes anzuzeigen, welcher die dem Untergang Geweihten mit ›himmlischen Tönen‹ narrt, während er schon daran ist, sie mit ›höllischen Flammen‹ zu umzingeln?«
Nachdem das Stück zu Ende war, stand er eine kurze Zeit unschlüssig auf der menschenleeren Straße. Es war eine herrliche Mondnacht, und er bemerkte in einiger Entfernung eine Gestalt, deren Schatten halb über die Straße fiel und ihm von gigantischer Größe zu sein schien. Stanton schritt auf jenes Etwas zu und trat, nachdem er festgestellt hatte, daß nur dessen Schatten so riesenhaft war, die Ursache aber normales Menschenmaß aufwies, an die Gestalt heran, in welcher er alsbald den Gegenstand seiner Suche erkannte: jenen Mann, welchen er heute abend im Theater wiedererkannt hatte.
»Ihr habt nach mir gesucht?«
»Ich habe.«
»Ihr habt mir Fragen zu stellen?«
»Viele.«
»Nun denn – so fragt.«
»Dies ist nicht der Ort dafür.«
»Nicht der Ort? Armer Wicht, was bedeuten mir Zeit und Ort! Fragt mich jetzt, im Falle Ihr etwas zu fragen habt – oder zu lernen.«
»Zu fragen – vieles. Jedoch zu lernen, noch dazu von Euch – nichts, wie ich hoffe.«
»Da täuscht Ihr Euch – doch werdet Ihr bei unserm nächsten Treffen Euch nimmermehr getäuscht sehn.«
»Wann soll dies Treffen sein?« frug Stanton, seinen Widerpart am Arme packend. »Nennt Eure Stunde, Euren Ort.«
»Die Stunde sei der Mittag«, sprach der Fremde und lächelte ein grauenhaftes, undeutbares Lächeln. »Der Platz die nackten Zellenwände eines Irrenhauses, wo Ihr, mit Euren Ketten rasselnd, unter Strohgeraschel Euch erheben sollt vor mir, die schuldige Reverenz mir zu erweisen – jedoch noch immer unterm Fluche der Gesundheit und Erinnerung. Bis dahin sollen Euch die Ohren klingen von meiner Stimme, und aus jedem Ding, das Ihr ins Auge faßt, soll sich mein Blick dem Euren
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