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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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uns? – Wer? – Ich kann keinen Segen sprechen, solange er da ist! Ich kann auch keinen Segen spüren! Wohin er seinen Fuß setzt, da verdorrt die Erde! – Wohin er seinen Odem bläst, dort verbrennt die Luft! – Und dem er zu essen gibt, der ist vergiftet! – Wohin immer er sich wendet, sein Blick verbrennt alles gleich einem Blitz! – Wer ist da unter uns? – Wer? « Der Gottesmann wiederholte mit aller Seelenqual die Beschwörung, dieweil die Kapuze ihm vom Haupte glitt und allen Augen den schütteren Haarkranz rund um die Tonsur preisgab, der sich vor Entsetzen sträubte, während des Paters gebreitete Arme aus den Kuttenärmeln hervorstießen und sich dem fürchterlichen Fremden abwehrend entgegenstreckten, so daß man an einen vom Geist überkommenen Seher hätte denken mögen, der hineingerissen war in den schrecklichen Taumel seiner prophetischen Drohung.
    »Wer von euch kennt ihn?« rief Olavida, offensichtlich aus einer Art Trancezustand erwachend. »Wer kennt ihn? Wer hat ihn hierhergebracht?«
    Jeder einzelne der Anwesenden beteuerte, nichts von dem Engländer zu wissen, jeder einzelne raunte dem andern die Frage ins Ohr, wer denn diesen Fremden nun wirklich hierhergebracht habe? Pater Olavida streckte den Arm gegen jeden der Gäste und stellte einem jeden die Frage: »Kennst du ihn?«
    Doch »Nein! Nein! Nein!« lautete in jedem Falle die Antwort.
    »Ich aber erkenne ihn«, sagte Olavida. »Ich erkenne ihn an diesen meinen kalten Schweißtropfen.« Und er wischte sich dieselben von der Stirn. »Ich erkenne ihn an diesen meinen verkrampften Gelenken!« Und er versuchte, das Kreuzzeichen zu schlagen und vermochte es nicht. Er sprach nun vernehmlicher, jedoch nur unter offenkundiger Anstrengung. »An diesem Brot und an diesem Wein, welche die Gläubigen als den Leib und das Blut Christi empfangen, an all dem, welches nun durch dieses Fremden Gegenwart so otterngiftig geworden wie der Schaum vor den Lippen des erhängten Judas – an all diesem erkenne ich ihn und befehle ihm hiermit, daß er sich hinweghebe! – Er ist – er ist –«, und dabei beugte der Sprechende sich vor und starrte den Engländer mit einem Ausdruck an, welcher in seiner Mischung aus Wut, Haß und Furcht erschreckend anzusehen war. Die Worte hatten bewirkt, daß sämtliche Gäste von ihren Sitzen aufgesprungen waren und nun stehend dem Schauspiel folgten, auf welche Weise die ganze Gesellschaft nun zwei gesonderte Gruppen bildete: jene aus den verstört sich zusammenscharenden Gästen, die in einem fort fragten: »Wer ist er nur – und was?«, und jene zweite aus dem reglosen Engländer und dem Pater, der urplötzlich in seiner anklagenden Stellung tot zusammenbrach.
    Man schaffte den Leichnam in ein anderes Gemach, so daß vor der Rückkehr in den Speisesaal niemand aus der Gesellschaft den Abgang des Engländers bemerkte. Noch bis spät in der Nacht blieb man beisammen und beredete dieses ungewöhnliche Ereignis, wobei man übereinkam, den Rest der Nacht im Hause zu verbringen, auf daß nicht der böse Geist (denn für niemand anderen ward der Engländer nunmehr gehalten) mit dem toten Körper sich irgendwelche Freiheiten herausnähme, welche kein katholischer Christ unwidersprochen hinnehmen könnte, gar wenn der Tote so augenscheinlich ohne die Tröstungen der Heiligen Sterbesakramente von hinnen gegangen. Aber noch während man diesen so löblichen Beschluß faßte, ertönten aus dem Brautgemach, wohin sich das junge Paar zurückgezogen hatte, so entsetzliche Schreckens- und Todesschreie, daß sie die ganze Gesellschaft auffahren ließen.
    Alles stürzte zu dem Zimmer hin, jedoch der Brautvater blieb allen voran. Man öffnete die Tür mit Gewalt – und fand die Braut als Leiche in den Armen ihres Gemahls.
    Er erwachte nie mehr aus seiner Umnachtung. Die Familie aber verließ das Haus, welches ihr durch so viel Unheil unerträglich geworden war. Nur ein einziges Gemach ist noch bewohnt. Darin haust der unselig Verstörte, und aus seinem Mund kamen jene Schreie, welche Ihr vernommen habt, als wir die verlassenen Zimmer durchschritten. Bei Tage verhält er sich zumeist ruhig, aber um die Stunde der Mitternacht pflegt er stets, und mit so entsetzlich durchdringender Stimme, daß man sie kaum mehr als die eines Menschen bezeichnen kann, »Sie kommen! Sie kommen!« hinausschreien, worauf er wieder in seine tiefe, brütende Ruhe zurücksinkt.
    Das Begräbnis von Pater Olavida war von einem außerordentlichen Vorfall begleitet.

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