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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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welches über dem Platz hing, auf welchem er saß. »Ein einziger Tropfen des dort vergossenen Blutes vermag dich von aller Sünde, welche du je begangen, zu reinigen. Aber all dies Blut, im Verein mit der Fürsprache unserer Heiligen Himmelskönigin, ja die sämtlichen Verdienste unserer Heiligen Märtyrer, und sogar die Absolution durch den Heiligen Vater selbst vermögen nicht, dich von dem Fluch einer einzigen unbereuten Sünde reinzuwaschen.«
    »Und welcher Sünde bezichtigt man mich?«
    »Der größten aller möglichen Sünden. Du verweigerst die Antwort auf jene Fragen, welche das Tribunal der Allerheiligsten und Gnadenreichsten Inquisition an dich gerichtet. Du willst nicht bekennen, was du über die Umstände beim Tode des Paters Olavida weißt.«
    »Ich habe Euch schon gesagt, daß ich seinen Tod als die Folge von Unwissenheit und Eigendünkel ansehe.«
    »Und welchen Beweis kannst du für diese Behauptung erbringen?«
      »Er wollte ein Geheimnis ergründen, welches vor den Menschen verborgen ist.«
    »Und welches ist dies Geheimnis?«
      »Es ist das Geheimnis, wie man die Gegenwart oder das Wirken der Macht des Bösen aufdeckt.«
    »Weißt du um dies Geheimnis?«
    Nachdem der Gefangene eine beträchtliche Gemütsbewegung gezeigt hatte, sagte er entschieden, obschon kleinmütig: »Mein Meister verbietet mir, darüber zu sprechen.«
    »Wäre Jesus Christus dein Meister, er würde dir nicht verbieten, den Geboten zu gehorchen oder die Fragen der Heiligen Inquisition zu beantworten.«
    »Dessen bin ich nicht so sicher.« Ein allgemeiner Schreckensruf folgte diesen Worten. Danach fuhr man in der Befragung fort.
    »Wenn du Olavida irgendwelcher von der Heiligen Kirche verbotenen Umtriebe oder Bestrebungen verdächtigt hast, weshalb hast du ihn nicht der Heiligen Inquisition angezeigt?«
    »Da ich ihn solchen Umtrieben gegenüber nicht für anfällig gehalten habe. Sein Wille war nicht fest genug – und so endete dieser Kampf mit dem Tod.«
    »Du glaubst also, es bedarf der Stärke des Willens, um jene abscheulichen Geheimnisse für sich zu behalten, sobald man nach deren Beschaffenheit und Absicht befragt wird?«
    »Nein – eher wohl der Widerstandskräfte des Leibes.«
    »So wollen wir dies ungesäumt erproben«, sagte der Inquisitor und gab das Zeichen für die Folter.
    Der Gefangene widerstand deren erstem und zweitem Grade mit ungebrochenem Mut. Erst unter Anwendung der Wasserfolter, welche in der Tat alle Menschenkraft übersteigt und so wenig ertragen wie geschildert werden kann, erst unter solchen Qualen rief er in einer Verschnaufpause aus, er wolle nun alles gestehen. So wurde er denn aus der Folter befreit, gelabt und wieder zu Kräften gebracht, und legte am anderen Tag das folgende, bemerkenswerte Geständnis ab: ...
    Die greise Spanierin vertraute Stanton des weiteren an, daß ...
    ... und daß jener Engländer seither unzweifelhaft in der Umgegend gesehen worden – zum letztenmal erst in der vergangenen Nacht, wie sie gehört habe. »Großer Gott!« entfuhr es Stanton, dem plötzlich jener Fremde in den Sinn kam, dessen dämonisches Gelächter ihn so sehr aus der Fassung gebracht, wie er da auf die leblosen Körper der Liebenden gestarrt, welche das Feuer vom Himmel getroffen und verzehrt hatte.

     
    Als das Manuskript nach einigen vor Flecken unleserlichen Seiten wieder deutlicher wurde, fuhr Melmoth in der Lektüre fort, verwirrt und unbefriedigt wie er war, da er noch immer nicht wußte, in welchem Zusammenhang diese spanischen Vorfälle nun eigentlich mit seinem Ahnherrn stünden, welchen er freilich alsbald in dem Fremden aus England wiedererkannte. Und er wunderte sich, warum denn jener Stanton sich die Mühe gemacht hatte, einem ihm Fremden bis nach Irland nachzureisen, dieses umfängliche Manuskript über jene im fernen Spanien vorgefallenen Begebnisse aufzusetzen und das Ganze dann bei des Gesuchten Familie liegenzulassen. Doch wurde durch die aufmerksame Lektüre der folgenden Zeilen, welche zu lesen einige Schwierigkeiten bereitete, seine Verwunderung alsbald besänftigt, seine Neugierde aber nur um so stärker angestachelt. Denn allem Anschein nach befand Stanton sich nunmehr in England.

     
    Um das Jahr 1677 hielt Stanton sich in London auf, doch wollte ihm jener geheimnisvolle Landsmann noch immer nicht aus dem Sinn. Bei solcher Gemütsverfassung scheint es ungewöhnlich genug, daß Stanton sich immer wieder den öffentlichen Vergnügungen in die Arme warf. So besuchte er

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