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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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widerspiegeln, ganz gleich, ob es beseelt ist oder nicht, und dies so lange, bis Ihr meine Augen zum andern Mal auf Euch gerichtet seht.«
    »So schrecklich soll dies Treffen sich ereignen?« frug Stanton und schrumpfte unter dem nun voll auf ihn gewandten, dämonisch flammenden Blick in sich zusammen.
    »Niemals«, so sprach der Fremde voller Nachdruck, » niemals verlasse ich im Unglück meine Freunde. Und sind sie erst im tiefsten Abgrund menschlicher Bedrängnis, so sind sie auch gewiß, von mir besucht zu werden. «

     
    Der nächste zusammenhängende Part der Niederschrift, den Melmoth entziffern konnte, zeigte Stanton, einige Jahre später, in der beklagenswertesten Lage.
    Hatte er seit eh und je als ein wenig absonderlich gegolten, so war diese Meinung durch sein beständiges Gerede über jenen Melmoth, durch die besessenen Nachforschungen, welchen er sich hingab, durch seine sonderbare Aufführung im Theater sowie durch seine beharrlichen Schilderungen jener diversen Besonderheiten, unter welchen so außerordentliche Begegnungen stattgefunden (was freilich niemanden außer den Erzähler selbst zu überzeugen vermochte) dazu angetan, in den Köpfen mancher neunmalkluger Leute den Glauben zu festigen, Stantons Geist hätte sich verwirrt. Und da es nun einmal in der menschlichen Natur liegt, daß niemand einem Manne von Geist wohlgesonnen ist, wurde das Getuschel um Stantons Krankheit teuflisch und wirksam verbreitet. Stantons nächster Verwandter, ein unbemittelter, gewissenloser Mensch, verfolgte gewissenhaft die Ausstreuung des Gerüchtes und sah schon die Schlinge sich um sein Opfer zusammenziehen. So machte er diesem eines Morgens seine Aufwartung, und zwar im Beisein eines Mannes von gravitätischer, obschon irgendwie abstoßender Erscheinung. Stanton war wie stets zerstreut und ruhelos, und so schlug, nachdem man ein wenig geplaudert, der Besucher ihm eine Spazierfahrt in die Umgebung von London vor, was, wie er beteuerte, recht erfrischend und erholsam sein werde. Sie fuhren zwei Meilen vor London.
    Dort angelangt, blieb das Gefährt plötzlich stehen. »Komm, Vetter«, sprach der jüngere Stanton zum älteren, »komm und sieh dir doch an, was ich da kürzlich erworben habe.«
    Stanton, seinen eigenen Gedanken nachhängend, stieg aus und folgte seinem Vetter über einen engen, gepflasterten Hof, gefolgt von dem fremden Begleiter. Einige Bedienstete von rohem Ansehen und überaus verdächtigen Visagen standen am Eingang des Hauses bereit, und man erklomm einen engen Treppenaufgang, welcher zu einer armselig möblierten Kammer führte. »Warte hier«, sagte der liebe Verwandte zu seinem schweigenden Begleiter, »indes ich einige Gesellschaft herbeihole, um meinen Vetter in seiner Einsamkeit ein wenig zu zerstreuen.« So sahen denn die beiden sich alleingelassen. Stanton, der den Fremden nicht weiter beachtete, ergriff nach Gewohnheit das nächstbeste Buch und begann darin zu lesen.
    Erst nach langer Zeit blickte er auf und bemerkte, daß auch sein Begleiter ihn verlassen hatte. In jenen Tagen waren Klingelzüge nicht gebräuchlich, und so wandte Stanton sich gegen die Tür – um diese versperrt zu finden. Er begann lauthals zu rufen und erhielt auch auf der Stelle Antwort durch ein vielstimmiges Geschrei, welches so irr und mißtönend war, daß unserm erschrockenen Rufer unwillkürlich jeder weitere Laut in der Kehle steckenblieb. Da es auf den Abend ging und kein Mensch sich zeigen wollte, versuchte Stanton es mit dem Fenster, wobei er erstmals gewahr wurde, daß dieses vergittert war. Der Ausblick ging auf den Hof, aber auch dort war kein menschliches Wesen zu sehen.
    Vor unaussprechlichem Entsetzen wurde unserem Freunde übel, er setzte sich auf den Schemel neben dem Fenster, nein, sank auf diesem zusammen und wünschte, daß es Tag wäre.
    Um Mitternacht fuhr er aus seinem Dahindösen auf, welches halb Ohnmacht, halb Schlummer gewesen: wahrscheinlich hatten ihn die Härte des Schemels und des aus rohen Brettern gezimmerten Tisches geweckt.
    Die Finsternis war vollkommen, und das Schreckliche seiner Lage ward ihm unversehens mit solcher Schwere bewußt, daß er einen Atemzug lang sich tatsächlich in einem Zustand befand, welcher bei längerer Dauer Stantons Aufenthalt in diesem entsetzlichen Gemäuer voll und ganz gerechtfertigt hätte. Er tastete sich zu der Tür, rüttelte verzweifelt und aus Leibeskräften an ihr und stieß dabei angsterfüllte Schreie aus, vermischt mit protestierenden und

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