Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
Vom Netzwerk:
befehlenden Ausrufen. Die Tür wurde aufgeschlossen, und ein Mann von vierschrötigem Äußern zeigte sich in der Öffnung. Hinter ihm standen, noch deutlich erkennbar, zwei seiner Spießgesellen bereit.
    »Schurke! Laß er mich unverzüglich hinaus!«
    »Gemach, du Bürschchen. Was soll der ganze Lärm?«
    »Wo bin ich hier?«
    »Dort, wo du hingehörst.«
    »Ihr untersteht euch, mich hier festzuhalten?«
    »Natürlich. Und auch noch ein bißchen mehr!« Der Rohling sprach’s und ließ die bleigeladene Peitsche auf Stantons Rücken, Stantons Schultern sausen, so lange bis der Pflegling sich in Wut und Schmerzen auf dem Boden krümmte. »Na, da, jetzt siehst du, wo du bist: dort, wo du hingehörst.«
    Stanton nahm all seine Kraft zusammen, um diese schaurige Nacht zu überstehen. Er blickte dem, was da auf ihn zukam, möglichst gelassen ins Auge und sprach sich Mut zu, es zu ertragen. Nach angestrengter Überlegung kam er zu dem Schluß, es wäre wohl das Beste, sich den Anschein des Gehorsams und der Ruhe zu geben, in der Hoffnung, auf solche Weise die Schufte, in deren Hände er gefallen war, beizeiten für sich einzunehmen, oder, durch solche an den Tag gelegte Fügsamkeit, sich bei ihnen in eine Gunst zu setzen, welche letztlich seinem Entkommen von diesem Orte förderlich sein würde.
    Jedoch begann seine Fassung mit der Zeit dahinzuschwinden. Er verwahrloste zusehends, wurde träge, apathisch und von abstoßender Erscheinung.
    Es war in einer dieser von dumpfer Traurigkeit erfüllten Nächte, als er, auf seinem Bett sich wälzend, gewahrte, wie das armselige Licht, welches sein Kaminfeuer verbreitete, durch das Dazwischentreten einer obskuren Erscheinung verdunkelt wurde. Ermattet wie er war, wandte er sich dem Glutscheine zu, ohne irgendwelche Neugier oder Aufregung zu empfinden, einzig von dem Wunsch beseelt, die Monotonie seines verstaubten Zellendaseins auch durch die geringste Abwechslung, welche der Zufall ihm bescherte, zu vertreiben. Alsbald erkannte er, daß zwischen ihm und jener trüben Lichtquelle kein anderer stand als jener Melmoth. Unverändert stand er da, ganz so wie bei der ersten Begegnung. Weder die Gestalt, noch auch der Gesichtsausdruck hatten eine Veränderung erfahren. Es waren dieselben kalten, versteinten und reglosen Züge, dieselben infernalisch glosenden Augen wie ehedem.
    Melmoth trat mit jener grauenvollen Ruhe auf ihn zu, welche die Angst, die sie hervorruft, auch noch verhöhnt. »Was ich dir prophezeite, ist erfüllt. Nun, bin ich ein Prophet?« Doch Stanton schwieg. »Ist deine Lage nicht genug bejammernswert?«
    Doch Stanton schwieg noch immer. Fast hielt er jenen für die Ausgeburt des eignen, kranken Hirns und fragte sich im stillen: »Wie kann dieses Wesen durch die Mauern gehen?«
    »Begehrst du gar nicht, draus erlöst zu sein? »Und Stanton wälzte sich auf seinem Stroh, und das Geraschel war wie eine Antwort. »Ich hab’ die Macht, dein Los von dir zu nehmen. Sieh diese Tür – der Schlüssel, sie zu öffnen, er ist in meiner Hand! Entscheide dich und wähle.«
    »Was war’s, das Euch den Schlüssel in die Hand gab? Was muß ich tun, um wieder frei zu sein?« so fragte Stanton.
    Die Antwort auf diese Frage nahm mehrere Seiten des Manuskripts ein, welche, zu Melmoths größter Pein, völlig unleserlich waren. Allem Anschein nach schien aber Stanton das Angebot ausgeschlagen zu haben, und zwar in höchster Wut und mit größtem Entsetzen, denn zuletzt konnte Melmoth die folgenden Worte entziffern: »Heb dich hinweg, die Ausgeburt, du Satan! Fahr zu der Hölle, die dich ausgespien! Selbst dieses Haus des Schreckens muß erzittern, so lang du unter seinem Dache bist! Die Mauern schwitzen Angst, die Böden beben, so lang dein Fuß auf ihnen sich verweilt!«
    Der letzte Teil dieses ungewöhnlichen Manuskripts befand sich in einem Zustand, welcher Melmoth nicht erlaubte, auf fünfzehn vermorschten, zerfallenen Seiten mehr denn ebenso viele Zeilen zu enträtseln. Was er aus diesen letzten Blättern entnehmen konnte, war weit eher dazu angetan, den Fieberdurst seiner Wißbegier noch brennender zu machen als ihn zu lindern. Das Manuskript erwähnte nämlich mit keinem Wort mehr jenen Melmoth, ließ aber durchblicken, daß Stanton am Ende doch noch seiner Gefangenschaft entronnen war, daß er seine Nachstellungen in Ansehung der Person jenes Melmoth unvermindert und unermüdlich weiter betrieb, daß er in diesem Umstand eine Art geistigen Defekt erblickte, und daß er, obwohl

Weitere Kostenlose Bücher