Melmoth der Wanderer
nicht weniger segensreich für die Menschen sind, und auch den Ruhm der Kirche vermehren, der sie geweiht sind –‹
›Teuerster Vater, über all jene will ich nichts gesagt haben, ich wage lediglich, von mir selbst zu reden; ich werde niemals ein mönchisches Leben führen können.‹
Mein Vater schien durch solche Anrede niedergeschmettert zu sein. Er brachte kein Wort hervor. Er hatte eine so vorzeitige Aufdeckung jenes Geheimnisses nicht erwartet, welches er selbst zu enthüllen sich eingebildet hatte, nicht aber, es von mir enthüllt zu hören. In diesem Moment fuhr der Wagen jedoch in den Prado ein, und ein veritables Tausend herrlicher Equipagen, die Pferde mit Federbüschen und prächtigen Schabracken geschmückt, die Wagen mit bezaubernden Frauen besetzt, welche sich zu ihren Kavalieren neigten, die für einen Augenblick aufs Trittbrett aufgesprungen waren, um sogleich wieder mit einer Verbeugung von den ›Damen ihres Herzens‹ Urlaub zu nehmen, zog an unseren Blicken vorüber. Und nun sah ich auch meinen Vater seinen prächtigen Mantel drapieren, das seidene Netz, darin sein langes, schwarzes Haar gebändigt war, zurechtzupfen und seinen Lakaien den Wink zum Halten geben, damit auch er sich unter die wogende Menge mischen könne. Ich erfaßte die Situation – und hielt den Vater an seinem Mantel zurück.
›Mein Vater, der Ihr diese Welt so vergnüglich findet, Ihr könntet von mir verlangen, all dem zu entsagen, von mir, Eurem eigenen Fleisch und Blut?‹
›Du bist zu jung für dies, mein Sohn.‹
›Oh, wenn dem so ist, mein Vater, dann bin ich ganz gewiß auch viel zu jung für jene andere Welt , in welche Ihr mich einzutreten nötigt.‹
›Dich nötigen, dich zwingen? Dich, mein eigenes Kind, den erstgeborenen Sohn?‹
Mein Vater war sichtlich gerührt. Er versprach, meine inständige Bitte reiflich zu erwägen, doch wies er auf mögliche Schwierigkeiten hin, welche von meiner Mutter zu erwarten wären und noch mehr von der Seite ihres Beichtigers, der (wie ich erst später erkennen sollte) die ganze Familie am Gängelband führte. Des Vaters dunkelste Andeutungen bezogen sich jedoch auf irgend etwas Unüberwindliches und Unbegreifliches. Trotzdem gestattete er es, daß ich ihm zum Abschied die Hand küßte, und kämpfte vergeblich gegen seine innere Bewegung an, da er die Hand von meinen Tränen benetzt fühlte.
Erst am zweiten Tag danach wurde ich vor den Beichtiger meiner Mutter gerufen, der schon im Sprechzimmer des Klosters auf mich wartete. Er begann mit beiläufigen Erkundigungen nach meiner Gesundheit, meinen Fortschritten in der Schule, stellte diese Fragen aber in recht teilnehmendem Ton. Dann versiegte unsere Konversation, und in der eingetretenen Stille wandte mein Gegenüber sich plötzlich zu mir, um zu sagen: ›Mein liebes Kind, ich höre, daß deine Abneigung gegen ein Leben im Kloster unüberwindlich sei. Dies wundert mich nicht. Die Umstände solchen Daseins müssen ja gerade der Jugend im Licht der Unvereinbarkeit erscheinen, und in der Tat, ich wüßte keinen Abschnitt unseres Erdenlebens, welchem Enthaltsamkeit, Abgeschiedenheit und Einsamkeit besonders angenehm erscheinen möchten. Zweifellos entspringt all dies ja nur dem Wunsch deiner Eltern. Jedoch –‹
Diese von Redlichkeit durchdrungene Anrede überwältigte mich beinahe. Meine Vorsicht und alles andre ließen mich im Stich, als ich ausrief: ›Aber was ist da zu tun, mein geistlicher Vater?‹
›Jedoch mußte ich die Beobachtung machen, wie selten doch unser eigener Standpunkt mit jenem übereinstimmt, welchen andere zu unserem Vorteil einnehmen, und wie schwierig es ist, zu entscheiden, welcher von beiden nun der am wenigsten irrige sei.‹
›Und das ist alles?‹ fragte ich, während die Enttäuschung mein Inneres zusammenzog.
›Das ist alles. Manche Menschen zum Beispiel (auch ich gehörte einst zu ihnen) mögen eingebildet genug sein, sich vorzustellen, daß die größere Lebenserfahrung und erprobte Zuneigung der Eltern sie berechtige, auch in diesem Fall für ihre Kinder zu entscheiden, ja, ich habe solche Leute es so weit treiben sehen, daß sie in diesem Zusammenhang vom natürlichen Recht, von den Auferlegungen der Pflicht und dem heilsamen Zwang der Zucht redeten. Seit ich aber die Freude hatte, von deinem Entschluß zu erfahren, neige ich mehr und mehr zu der Ansicht, daß man als Jüngling von noch nicht einmal dreizehn Jahren, richtig besehen, ein unvergleichlich besserer Richter in jenen
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