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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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mit Glas und Rahmen ihm unterm Tritt zerklirrte, rief er aus: »Nun ist’s mir wohler– endlich!«
    Das Zimmer, in dem die beiden sich aufhielten, war ein niedriges, armseliges, mit ramponierten Möbeln ausgestattetes Gemach. Der Abend war stürmisch, und während der böige Wind an Fenstern wie Türen rüttelte, war es Melmoth zumute, als lauschte er einem Herold »des Unheils und der Angst«. Eine tiefe, nahezu körperliche Übelkeit befiel ihn, und in dem langen Schweigen, welches der Erzählung des Spaniers voraufging, schlug Melmoth das Herz bis zum Hals. So erhob er sich und versuchte den Erzähler mit einer Handbewegung am Sprechen zu hindern. Jener aber, diese Geste als ein Zeichen der Ungeduld mißdeutend, begann unverzüglich mit seiner Geschichte, die wir, in Ansehung des Lesers, vollständig wiedergeben wollen, unter Weglassung all der unaufhörlichen Unterbrechungen, Zwischenfragen und Vorgriffe der Neugier, sowie all der Schreckensrufe, mit denen der Erzähler von Melmoth immer wieder am Weitersprechen gehindert wurde.

Des Spaniers Erzählung
    »Wie Ihr ja schon wißt, teuerster Senor«, so begann er, »bin ich in Spanien geboren. Was Ihr noch nicht erfahren habt, ist, daß ich einem der vornehmsten Geschlechter des Landes entstamme, einem Hause, dessen mein Vaterland auch in den stolzesten Tagen seiner Geschichte sich nicht hätte zu schämen brauchen, dem Hause der Moncada. Jedoch hatte ich während der ersten Jahre meines Lebens davon keinerlei Kenntnis. Dennoch entsinne ich mich des sonderbaren Kontrastes, welchem ich in jenen frühen Jahren dergestalt unterworfen gewesen war, daß man mich in aller schmutzigen, unangemessenen Heimlichkeit mit der fürsorglichsten Sanftmut behandelte. Ich wuchs in einem baufälligen Hause der Madrider Vorstadt auf, und zwar in der Obhut einer Alten, deren Gefühle für mich sich aus der Zuneigung sowie aus Eigennutz herleiteten. Allwöchentlich besuchte mich ein junger Kavalier in Begleitung einer bezaubernden Dame. Die beiden pflegten mich jedesmal überschwänglich zu liebkosen und nannten mich ihr vielgeliebtes Kind, worauf ich, angetan durch die Eleganz des Faltenschwungs von meines jungen Vaters capa , die Art, wie meine Mutter ihren Schleier raffte, sowie durch den Hauch einer unbeschreiblichen Überlegenheit all denen gegenüber, welche mich gemeinhin umgaben, solche Liebkosungen bereitwillig erwiderte, flehentlich bittend, die beiden mögen mich doch mit sich nach Hause nehmen. Solche Worte rührten das Paar jedesmal zu Tränen, worauf meiner alten Pflegemutter regelmäßig ein wertvolles Geschenk ausgehändigt ward, so daß deren Fürsorglichkeit sich durch solch erwartete Gabe alsbald verdoppelte. Danach verließen uns die beiden.
    Unwillkürlich fiel mir auf, daß diese Besuche jedesmal recht kurz ausfielen und überdies zu später Abendstunde stattfanden. Es lag also ein Schleier des Geheimnisses über meinen Kindheitstagen, und er ist es wohl gewesen, der jene bleibende und unauslöschliche Eigenart bewirkte, welche meinen Tätigkeiten, meinem ganzen Wesen und den Gefühlen meines gegenwärtigen Daseins anhaftet. Dann, eines Tages, vollzog sich ein plötzlicher Wandel: ich erhielt Besuch, wurde prächtig ausstaffiert und in einen vornehmen Wagen gesetzt, dessen federnde Fahrt mich schwindeln machte in aller Neuheit solcher Empfindung und Überraschung. So gelangten wir bis vor einen Palast, dessen Fassade mir bis in alle Himmel zu reichen schien. Man eilte mit mir durch eine Zimmerflucht bis zu einem kleinen Gemach, in dem ein alter Edelmann thronte, dessen ruhevoll-majestätische Haltung in mir das Bedürfnis erweckte, vor ihm niederzufallen und ihm zu huldigen, wie wir es vor den Statuen jener Heiligen tun, denen wir uns durch das Kirchenschiff eines riesigen Gotteshauses ehrfürchtig nähern. Auch meine Eltern waren zugegen, und sowohl mein Vater als auch die Mutter schienen von tiefer Ehrfurcht erfüllt angesichts des hohen Alters der erhabenen, totenblassen Erscheinung. Die Ehrfurcht der Eltern vermehrte nur noch die meine, und da man mich vor ihn führte, war mir zumute, als ging’s zu einer Opferung. Dennoch wurde ich von dem Greis umarmt, und zwar, wie mir schien, mit einigem Widerstreben und noch mehr abweisendem Ernst. Nachdem dies Zeremoniell, das mich erschaudern ließ, vollzogen war, führte mich einer der Domestiken hinaus und in ein Gemach, in dem ich wie der Sohn eines Granden behandelt wurde. Noch am selben Abend suchten meine

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