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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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kann. Doch der Becher der Hoffnung vergrößert nur unseren Durst, anders als jener des Vollgenusses, welcher uns alsbald befriedigt –, oder enttäuscht.
    Es war am sechsten Tag, als ich mit Herzklopfen einen Wagen draußen vorfahren hörte. Ich hätte schwören mögen, schon am Geräusch der Räder erkannt zu haben, welcher Wagen dies sein müsse, und war im Empfangsraum, noch ehe man mich dahin gerufen hatte. Ich spürte, daß ich recht hatte, und wurde in meinem Vorgefühl nicht enttäuscht. Die Fahrt zum Palast meines Vaters verging wie im Fieberwahn, war erfüllt von Visionen der Verstoßung und Versöhnung, der Dankbarkeit und der Verzweiflung. Ich wurde in ein Zimmer geleitet, in dem mein Vater, meine Mutter und ihr Beichtiger versammelt waren, so stumm und steif dasitzend wie Statuen. Mein Vater brach als erster das Schweigen, doch was er sagte, war in der Art eines Menschen gesprochen, welcher eine ihm vorgeschriebene Rolle herunterzuleiern hat.
    ›Mein Sohn, ich habe nicht nach dir gesandt, um noch länger gegen deine ungeschickte und gottlose Aufsässigkeit anzukämpfen, sondern um dir meine persönliche Entscheidung mitzuteilen. Des Himmels und deiner Eltern Wille hat dich für den geistlichen Stand ausersehen, und dein Widerstreben vermag uns allesamt nur unglücklich zu machen, ohne indes im mindesten an unserer Entscheidung rütteln zu können. Jedoch kann dir diese Hochwürdige Persönlichkeit das Unvermeidliche deiner Unterwerfung besser auseinandersetzen als ich es vermöchte.‹ Und mein Vater erhob sich und machte Anstalten, sich zu entfernen. Doch er wurde von dem Beichtvater daran gehindert.
    ›Bleibt noch ein wenig, Senor, und bestätigt Eurem Sohn, bevor Ihr geht, daß ich, seit ich ihn das letzte Mal gesehen, mein Versprechen erfüllt und jeden nur möglichen Gesichtspunkt, sowohl Euch als auch der Herzogin gegenüber, ins Treffen geführt habe, sobald ich annehmen durfte, daß er zum Besten Eures Kindes sei.‹
    Ich erfaßte durchaus den heuchlerischen Doppelsinn dieser Worte und antwortete, nachdem ich tief Atem geholt: ›Hochwürdiger Vater, als Sohn bedarf ich keinerlei Mittelspersonen zu meinen leiblichen Eltern. Ich stehe ihnen von Angesicht gegenüber, und finde ich keinen Fürsprecher in ihren Herzen, so müssen auch Eure Überlegungen ohne jede Wirkung bleiben. Ich habe von Euch lediglich erbeten, den Eltern meine unüberwindliche Abneigung zu erklären.‹
    Sämtliche Anwesenden unterbrachen meine Rede mit der einstimmig gerufenen Wiederholung meiner letzten Worte: ›Abneigung! Unüberwindlich! Haben wir nur deshalb so lange deine Halsstarrigkeit ertragen? Nur, um sie in noch erschwerterer Form wiederholt zu hören?‹
    ›Jawohl, mein Vater – nur deshalb, und für nichts anderes. Wenn man mir das Wort verbietet, weshalb werde ich dann überhaupt hier geduldet?‹
    ›Weil wir alle gehofft haben, deine Unterwerfung mit anzusehen.‹
    ›So erlaubt mir denn, diese kniefällig zu bezeugen!‹ – Und ich fiel auf meine Knie nieder, in der Hoffnung, solches Verhalten möge den Effekt meiner Rede, welcher ich nicht hatte gebieten können, etwas abschwächen. Ich küßte meinem Vater die Hand – er entzog sie mir nicht –, und ich fühlte, wie sie erbebte.
    ›Mein Kind, du hast deinen Widerwillen gegen ein Leben in Gott unüberwindlich genannt. Könnte es aber nicht etwas geben, welches deinem Entschluß noch unüberwindlicher entgegenstünde? Etwa den Fluch jenes Gottes, vermehrt um denjenigen deiner Eltern, und noch vertieft durch den Bannstrahl der Heiligen Kirche, deren liebreiche Umarmung du von dir gestoßen und deren Heiligkeit du durch deine Weigerung befleckt hast?‹
    ›Vater, dies sind schreckliche Worte, allein mir verbleibt jetzt nur Zeit für Bedeutsamkeiten.‹
    ›Du verbohrtes, törichtes Rabenaas, ich verstehe nicht, was du willst –, du verstehst es ja selbst nicht!‹
    ›Oh, ich verstehe es nur zu gut –, nur zu gut!‹ rief ich aus. ›Mein teurer Vater, so ist mir das Leben –, das menschenwürdige Leben, auf alle Zeit verschlossen?‹
    ›Es ist‹, sagte der Beichtiger an meines Vaters Stelle.
    ›Bleibt mir denn gar kein Ausweg?‹
    ›Keiner.‹
    ›Kein Beruf, den ich ergreifen könnte?‹
    › Beruf! Du mißratener Bursche!‹
    ›Laßt mich den niedrigsten ergreifen, aber bewahrt mich davor, ein Mönch zu erden!‹
    ›So lüderlich wie verzärtelt!‹
    ›Ach, mein Vater‹, flehte ich, noch immer an denselben gewandt, ›laßt doch diesen

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