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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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hieß mich, in meiner eigenen Zelle das Erscheinen meines Oberen abzuwarten. Ich schritt unruhig auf und ab, wobei ich unablässig wiederholte: ›Du mein Herr und Gott, beschirme mich doch! Oh Herr, gib mir die Kraft und steh mir bei!‹ Dann wieder scheuchte ich vor der Anrufung Gottes zurück, weil ich im Zweifel war, ob denn die Sache, darin ich mich verstrickt fand, den göttlichen Schutz auch wirklich verdiente.
    Solche Gedanken waren indes nur zu rasch verflogen mit dem plötzlichen Eintritt des Pater Superior sowie jener vier Mönche, welche denselben schon bei seinem letzten Besuch vor der Ost erbeichte begleitet hatten. Bei ihrem Eintreten erhob ich mich, und wurde von keinem mehr aufgefordert, wieder Platz zu nehmen. Der Pater Superior trat mit zornfunkelndem Blick auf mich zu und fragte, indem er irgendwelche Papiere auf meinen Tisch warf: ›Stammt dies hier von deiner Hand?‹
    Hastig und erschrocken musterte ich die Blätter – sie enthielten eine Kopie meiner Denkschrift! Ich besaß aber Geistesgegenwart genug, um zu sagen: ›Dies ist nicht meine Handschrift.‹
    ›Elender! Schon wieder diese Doppelzüngigkeit! Es ist eine Abschrift davon!‹ Ich blieb stumm. – ›Und dies ist der Beweis dafür‹, fügte der Erzürnte hinzu, indem er ein weiteres Manuskript auf den Tisch warf. Es war eine Kopie des Schriftsatzes, den der Advokat an mich adressiert hatte, und welchen die Mönche vermöge des Einflusses eines übergeordneten Gerichtshofes mir vorzuenthalten nicht die Macht besaßen. Ich verging beinahe vor Begier, das Schreiben zu lesen, wagte aber nicht, auch nur einen Blick darauf zu werfen. Der Pater Superior entfaltete es Blatt für Blatt und sagte dann: ›So lies denn, Nichtswürdiger! Lies – schau nur hinein und prüfe es, Zeile für Zeile!‹
    Ihr könnt mir wohl glauben, Senor, daß ich unter solchen Umständen nicht in der Lage war, mit sonderlich klarem Auge zu lesen. Auch ward mein Scharfsinn nicht dadurch befördert, daß die vier Mönche nunmehr auf ein von mir nicht bemerktes Zeichen des Pater Superior die Zelle verließen. Denn nunmehr war ich mit meinem Oberen allein. Er schritt in meiner Zelle auf und ab, während ich mir den Anschein zu geben versuchte, als wäre ich völlig in des Advokaten Schriftsatz vertieft. Mit einem Mal aber blieb der Pater Superior stehen und schlug mit solcher Heftigkeit auf den Tisch, daß die Papiere, welche ich zitternd überflog, durcheinandergerieten. Ich fuhr von meinem Sitz hoch. ›Elender‹, sagte der Pater Superior, ›wann hätten Blätter wie diese jemals die Heiligkeit eines Klosters profaniert? Wann wären wir vor deinem unheiligen Eintritt jemals durch solche Schriftsätze weltlicher Advokaten gekränkt worden? Wie konnte es geschehen, daß du gewagt hast –‹
    ›Mein Vater, alle Mühe, meinen Widerwillen gegen das Klosterleben zu mindern, ist vergeblich. Der Beweis für die Unüberwindlichkeit solcher Abneigung liegt vor Euch. Ich habe mich eines Schrittes schuldig gemacht, welcher die Würde eines Konvents verletzt. Das tut mir leid, allein, ich bin darum nicht zu tadeln. Die mich gezwungen haben, in ein Kloster einzutreten, sie tragen die ganze Schuld an solcher Verletzung, welche man fälschlich mir in die Schuhe schiebt.
    Ich bin fest entschlossen, meine Lage, wenn irgend möglich, zu ändern.‹
    ›Dein Widerwille gegen das Klosterleben ist also unüberwindlich?‹ lautete die nächste Frage.
    ›Er ist es.‹
    ›Aber bedenke doch, ich flehe dich an, daß die Gesetze der irdischen Gerichtsbarkeit, obschon sie befolgt werden müssen, weil wir ja alle von den menschlichen Einrichtungen abhängig sind und ihrer Hilfe im Umgang von Mensch zu Mensch bedürfen, daß diese Gesetze keinesfalls auf die Beziehungen zwischen Gott und den Menschen anwendbar sind. Dein ferneres, schimpfliches Leben wird ein einziger Vorwurf gegen einen Eidbruch sein, den zwar die Menschen stillschweigend dulden, niemals aber Gott! Und wie entsetzlich wird dieser Vorwurf erst in deiner Sterbestunde sein!‹
    ›Nicht so entsetzlich wie die Stunde es war, da ich diesen Eid abgelegt, vielmehr, da man ihn mir erpreßte.‹
    ›Erpreßte!‹
    ›Jawohl, mein Vater, erpreßte! Der Himmel sei mein Zeuge gegen Euch. So wie jetzt, übten auch an jenem unseligen Morgen Euer Zorn, Eure Vorhaltungen und Eure Bitten keinerlei Wirkung auf mich, bis zu dem Augenblick, da Ihr mir den Körper meiner Mutter vor die Füße geworfen.‹
    ›So kommst du mir mit Vorwürfen

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