Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
Vom Netzwerk:
unter Eid aussagst.‹
    ›Ihr habt kein Recht, solchen Eid von mir zu fordern. Ich kenne die Regeln dieses Hauses, ich bin einzig dem Beichtvater verantwortlich.‹
    ›Du stellst also die Macht durch das Recht in Frage? Wohlan, in diesen Mauern sollst du bald genug zu spüren bekommen, daß Macht und Recht eines sind.‹
    Man begann mit der Durchsuchung. Da war kein Möbelstück in meiner Zelle, das solcher Aufmerksamkeit entgangen wäre. Mein Stuhl wie mein Tisch, sie wurden um und um gedreht, geschüttelt, ja schließlich auseinandergebrochen, alles zu dem Zweck, ein etwa darin verborgenes Blatt zu entdecken. Die Kupfer wurden von den Wänden gerissen und gegen das Licht gehalten, ja sogar die Bilderrahmen nahm man auseinander, um irgendein Versteck darin bloßzulegen. Dann machten sie sich über mein Bett her. Sie warfen alles auf den Boden, sie schnitten den Strohsack auf und rissen das Stroh heraus. Einer von ihnen nahm dazu sogar seine Zähne zu Hilfe. Am Ende umringten sie mich selbst und machten sich an die Durchsuchung meiner Person, wobei sie nicht weniger hektisch, gründlich und unziemlich verfuhren: Alles, was ich am Leibe trug, lag von einer Sekunde zur andern auf dem Fußboden verstreut. Noch die kleinsten Nähte meiner Kutte wurden aufgetrennt, während ich, für die Dauer dieser Untersuchung, meine Blöße mit einer der Decken verhüllte, welche man von meinem Bett gerissen hatte.
    Nachdem endlich alles vorüber war, fragte ich: ›Habt ihr irgend etwas gefunden?‹
    Der Pater Superior antwortete mit zornbebender Stimme, wobei er seiner Enttäuschung vergeblich mit einem hochmütigen Ton Herr zu werden versuchte: ›Mir stehen noch ganz andere Mittel zu Gebote, dir auf deine Schliche zu kommen. Mach dich darauf gefaßt – und zittere, sobald man sie zur Anwendung bringt.‹
    Nachdem er dies gesagt hatte, verließ er eilig meine Zelle und bedeutete den vier Mönchen, ihm zu folgen. Ich blieb allein zurück, nun nicht länger im Zweifel gelassen über die Gefahr, in der ich schwebte. Ich sah mich der Wut von Menschen ausgeliefert, welche um nichts in der Welt bereit waren, sich besänftigen zu lassen. So lauschte ich zitternd auf jeden Schritt, welcher auf dem Gang hörbar ward, ob er nicht schon mir gälte, und ebenso auf jedes Öffnen und Schließen der Türen in meiner Umgebung. Stunden um Stunden verrannen in dieser schwebenden Seelenpein, doch verrannen sie, ohne daß irgend etwas sich ereignet hätte.
    Die Osterbeichte hatte ihren Anfang genommen. Während ich aber die Bußfertigen nacheinander von der Kirche zurückkommen und ihre Zellentüren hinter sich schließen hörte, begann ich zu fürchten, daß ich von dem Besuch des Beichtstuhles ausgeschlossen sei, und daß solche Ausschließung von einem heiligen und unerläßlichen Recht der Beginn irgendwelcher geheimnisvollen Wendung zur äußersten Strenge sein könnte. Dennoch wartete ich weiterhin auf den Ruf zur Beichte und wurde schließlich doch noch zu derselben beordert. Dies belebte meinen Mut aufs neue, so daß ich mich meiner geistlichen Pflichten beruhigter zu entledigen vermochte. Nachdem ich meine Beichte abgelegt, wurden mir lediglich ein paar schlichte Fragen gestellt, des Inhalts, ob ich mich denn gar keines innerlichen Bruchs der klösterlichen Obliegenheiten zu bezichtigen hätte? Ob ich denn auch wirklich nichts zurückgehalten hätte? Irgend etwas, und wäre es bloß in meinem Gewissen und so weiter. Nachdem ich all diese Fragen verneinend beantwortet hatte, wurde es mir gestattet, meine Zelle wieder aufzusuchen. Dies war in der Nacht, da der Pförtner verstarb.
    Die folgenden Tage verstrichen in völliger Stille, allein der Sturm sollte nicht lange auf sich warten lassen. Am vierten Abend nach der Osterbeichte, ich saß mutterseelenallein in meiner Zelle, vernahm ich einen ungewöhnlichen Tumult in dem Kloster. Die Glocke wurde geläutet – der neue Pförtner schien in großer Aufregung zu sein –, der Pater Superior hastete zum Sprechzimmer hinunter, danach zurück in seine Zelle, und wenig später wurden einige der bejahrteren Mönche zu ihm gerufen. Die jüngeren standen unter Getuschel auf dem Gang herum, schlugen ihre Zellentüren mit aller Heftigkeit zu, kurz, alles schien in heller Aufregung begriffen. Noch spät am Abend ward ich beschieden, vor dem Pater Superior in dessen Zelle zu erscheinen. Ich sagte, daß ich unverzüglich kommen würde. Doch schon zwei Minuten später wurde diese Order widerrufen, und man

Weitere Kostenlose Bücher