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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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einer Hoffnung nur mit Widerstreben zuteil werden ließ. Er war nämlich dazu verpflichtet worden, mir mitzuteilen, daß der Pater Superior von meinem Leiden milde gestimmt worden sei, Gott ihm das Herz zu meinen Gunsten gerührt habe, und es mir deshalb gestattet sei, mein Gefängnis zu verlassen.
    Er hatte diese Worte noch nicht zu Ende gesprochen, da war ich auch schon aufgesprungen und stürzte mit einem Freudenschrei aus dem Gewölbe, welcher meinem Wärter durch Mark und Bein ging. Gefühle zu haben ist in Klöstern ja selten genug, seine Freude aber auch noch zu äußern, grenzt an ein Wunder. Ich hatte den langen Gang schon hinter mir, noch ehe der Kerkermeister seiner Überraschung Herr geworden war, und die Klostermauern, welche mir stets als die eines Gefängnisses gegolten hatten, erschienen mir nun als ein Ort der Freiheit. Während ich aber meinem Herzensüberschwang freien Lauf ließ, wurde ich von einer plötzlichen Übelkeit befallen –, es schwindelte mir, – ich hatte meine Augen bis zum Übermaß am Licht des Tages geweidet. So brach ich nun zusammen und wußte für viele Stunden nichts mehr von mir.
    Wieder zu Sinnen gekommen, fand ich mich in meiner Zelle, welche aussah, als hätte ich sie nie verlassen, mit dem einzigen Unterschied, daß es jetzt heller Tag war. Und ich bin überzeugt, daß dieser Umstand allein mehr zu meiner Wiederherstellung beigetragen hat als alles Essen und die Stärkungsmittel, womit ich nun freigebig versehen wurde. Sonst hörte ich den ganzen Tag hindurch nichts, so daß ich genügend Zeit hatte, über die Beweggründe jener Großmütigkeit nachzudenken, mit welcher man mich so plötzlich behandelte.
    Nach der Vesper (von der ich dispensiert war) betrat der Pater Superior meine Zelle, doch diesmal allein. Da er sich meinem Bett näherte, machte ich den Versuch, mich aufzurichten, er aber bedeutete mir, zu bleiben, und setzte sich neben mich, wobei er mir einen ruhigen, aber durchdringenden Blick zuwarf. Dann sagte er: ›Nun hast du ja gesehen, daß wir die Macht besitzen, zu strafen.‹
    ›Dies habe ich nie bezweifelt.‹
    ›Bevor du aber unsere Macht bis zu ihrem äußersten Grade erprobst, welcher, dies warne ich dich, deine Kräfte übersteigen wird, komme ich nochmals zu dir, um dich zu fragen, ob du die aussichtslose Berufung gegen deine Gelübde, welche nur zur Unehre Gottes und zu deiner eigenen Enttäuschung ausschlagen kann, zurückziehen willst.‹
    ›Mein Vater, ohne mich in Einzelheiten verlieren zu wollen, was ja durch die beiderseits unternommenen Schritte vollends müßig geworden ist, kann ich Euch lediglich antworten, daß ich meinen Einspruch mit allen Mitteln, welche mir die Vorsehung zur Verfügung stellt, betreiben werde, und daß ich in meiner Entschlossenheit durch die letzte Bestrafung nur bestärkt worden bin.‹
    ›Und das ist dein letztes Wort?‹
    ›Mein letztes. Und ich bitte Euch inständig, setzt mir nicht länger zu –, es würde vergeblich sein.‹
    Lange Zeit verharrte er in Schweigen, bis er schließlich sagte: ›Und du bestehst auf deinem Recht, dich morgen mit jenem Advokaten zu unterreden?‹
    ›Ich werde es fordern.‹
    ›Nun gut – es wird ja nicht nötig sein, deiner letzten Bestrafung dabei Erwähnung zu tun.‹
    Die Worte machten mich aufhorchen. Ich verstand deren verdeckten Sinn sehr wohl und gab zur Antwort: ›Nötig nicht, jedoch unter Umständen von Nutzen.‹
    ›Wie! – Du würdest die Verschwiegenheit dieses Hauses verletzen, hinter dessen Mauern du dich noch immer befindest?‹
    ›Vergebt mir dies harte Wort, mein Vater, aber Ihr müßt Euch der Überschreitung Euerer Befugnisse sehr wohl bewußt sein, sonst wäret Ihr nicht so darauf bedacht, dieselben zu verschleiern. Es ist also nicht so sehr das Geheimnis Eurer Disziplin, sondern die Verletzung derselben, welche ich preiszugeben habe.‹ – Und da er nichts darauf erwiderte, fügte ich noch hinzu: ›Im Falle Ihr Eure Macht mißbraucht habt, so liegt die Schuld nicht bei mir, dem Bestraften, sondern allein bei Euch.‹
    Schweigend erhob sich der Pater Superior und schweigend verließ er die Zelle.
    Den folgenden Morgen nahm ich wieder an der Matutin teil. Die Andacht ging wie gewöhnlich vor sich, doch am Schluß, als alle schon im Begriff waren, sich von ihren Knien zu erheben, gebot ihnen der Pater Superior, indem er seine Hand vernehmlich auf das Betpult fallen ließ, sie mögen in ihrer knienden Haltung verharren. Und mit Donnerstimme fügte

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