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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles R. Maturin
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einzunehmen? Weshalb wollt ihr einem Urteilsspruch zuvorkommen, welcher, ob nun gerecht oder nicht, streng genug ausfallen wird, da ihr doch selbst seine Vollstrecker seid? Womit habe ich euch so sehr gekränkt? Ich bin für euresgleichen eingetreten, sooft es um die Sühne auch nur des geringsten Verstoßes gegangen – ist dies nun der Dank?‹
    ›Du verschwendest deine Zeit‹, sagten die Mönche.
    ›Haltet ein‹, sprach da der Pater Superior, ›und laßt ihn ausreden. Bist du jetzt gewillt, diesen letzten Augenblick der Nachsicht wahrzunehmen, den ich für dich noch erübrigen kann, um von deinem fürchterlichen Entschluß abzustehen?‹
    Solches rief unverzüglich meine Kräfte wieder auf den Plan. Aufrecht stehend sprach ich laut und mit aller Deutlichkeit: ›Nimmermehr – nur Gott selbst kann mein Richter sein!‹
    ›Nichtswürdiger! Du selbst hast dich von Gott abgewendet.‹
    ›Wohlan, mein Vater, dann bleibt mir nur zu hoffen, daß Gott sich nicht von mir abwenden wird. Im übrigen habe ich mich auch an eine irdische Gerichtsbarkeit gewandt, über die Ihr keine Gewalt habt.‹
    ›Aber hier haben wir die Gewalt, und dies sollst du am eigenen Leibe erfahren.‹ Daraufhin gab er ein Zeichen, und die vier Mönche traten vollends auf mich zu. Ich stieß nur einen einzigen Angstschrei aus, verstummte aber schon im nächsten Augenblick, da ich überzeugt war, er werde mein letzter sein. Dann aber gewahrte ich zu meinem Erstaunen, daß sie mir ihren Strick nicht um den Hals legten, sondern meine Arme damit fesselten. Danach zogen sie mir die Kutte vom Leib und hüllten mich in die Sackleinwand.
    Von dem Strick umschnürt wie der ärgste Verbrecher oder Galeerensklave, wurde ich den Gang entlanggezerrt. Ich schrie nicht, noch widerstand ich. Sie stiegen die Stufen zur Kirche hinab, und ich folgte ihnen, oder wurde vielmehr hinterhergezogen. Sie durchmaßen das Kirchenschiff, in das ein düsterer Gang mündete, welchen ich bislang noch nie beachtet hatte. Wir betraten denselben. Die niedrige Tür zu seinem Ende ließ eine schreckliche Vermutung in mir aufsteigen, und der Anblick jener engen Öffnung machte mich entsetzt aufschreien: ›Ihr wollt mich doch nicht einmauern? Mich in jenes fürchterliche Verließ werfen, um mich in seiner Kellerluft verkommen und den Schlangen und Lurchen zur Mahlzeit dienen zu lassen? Nein, das könnt ihr nicht tun, bedenkt, daß ihr meinen Tod verantworten müßt!‹
    Doch sie stießen mich in das Verließ, während der Pater Superior mit dem Licht in der Öffnung stehenblieb und bei dem Anblick, welches dieses ihm bot, zu erschauern schien. So verblieb mir genug Zeit, die gesamte Ausstattung des Gelasses zu mustern, welches ich für meine letzte Behausung hielt. Es war durchaus von Stein. Die Decke war gewölbt. Auf einem steinernen Sockel überragte das Kruzifix einen Totenkopf, einen Laib Brot und einen Krug mit Wasser. Eine Strohmatte auf dem Steinboden diente zur Lagerstatt, und eine zweite zusammengerollte, bildete den Kopfpolster. Die Mönche warfen mich auf dieses Elendslager und machten Anstalten, sich zu entfernen. Wegen der Vergeblichkeit jeden Fluchtversuches wehrte ich mich nicht länger, flehte sie jedoch an, sie möchten mir wenigstens den brennenden Wachsstock dalassen. Aber noch während ich dies sagte, wurde die Tür mit aller Mühe zugeworfen und versperrt, und ich hörte nur noch die sich entfernenden Schritte.
    Ihr werdet wohl nicht glauben, Senor, daß mein Schlaf in jener Nacht ein sehr tiefer gewesen. Und doch, er war es. Doch lieber wollte ich nie wieder in Schlaf verfallen, als noch einmal auf so schreckliche Weise erwachen zu müssen. Das Licht des Tages war mir nämlich zur Finsternis geworden. Über mich war verhängt, dies Licht nimmermehr zu erblicken, so wenig wie seinen Wandel zum Dunkel der Nacht, welcher, indem er uns die Zeit wie die Leiden teilt, derselben auch zu vermindern scheint. Jeder neue Glockenschlag kündet und mit dem Ablauf einer weiteren Stunde unseres hinfälligen Daseins auch deren Nimmerwiederkehr an. Mein einziges Zeitmaß aber war bloß jener Mönch, welcher mir tagtäglich das mir bemessene Wasser und Brot in mein Gelaß stellte.
    Es mochte am vierten Tag meiner Haft gewesen sein, daß derselbe mein Brot wie gewöhnlich auf den Steinsockel legte und auch den Wasserkrug daneben abstellte, dann aber noch einige Zeit verweilte, ehe er mich wieder verließ. In Wahrheit verhielt er sich aber so, daß er mir diesen Schimmer

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