Melmoth der Wanderer
sogleich, schlugen mir die Tür vor der Nase zu, und ich war ausgesperrt. An jenem Tag wartete ich mehrere Stunden in meiner Zelle, ehe man mir mein Essen brachte. Nun gibt es aber keinen Zustand des Gefühls, welcher uns frei macht von den Forderungen der Natur, und ich hatte schon seit vielen Tagen nicht mehr die für jenes Jünglingsalter erforderliche Nahrung erhalten, was sich nun immer deutlicher in meiner hochaufgeschossenen, jedoch immer stärker abgemagerten Statur bemerkbar machte. So stieg ich die Stufen zur Küche hinunter, um meinen Anteil an dem Essen zu fordern. Als ich aber in der Tür auftauchte, bekreuzigte sich der Küchenmeister, und ich wagte nun nicht einmal mehr die Schwelle zur Küche zu überschreiten. Man hatte ihn nämlich gelehrt, mich für einen Teufel in Menschengestalt anzusehen, und so erschauderte er sichtbarlich, während er mich fragte: ›Was willst du von mir?‹
›Mein Essen‹, gab ich zurück. ›Mein Essen – sonst nichts.‹
›Wohlan, so sollst du dein Essen haben, aber komm mir nicht in die Nähe! Da, da hast du Essen genug!‹ Und er warf mir den Küchenabfall vor die Füße. Ich aber war schon so ausgehungert, daß ich mich über denselben hermachte und ihn zu verschlingen begann. Den Tag darauf erging es mir nicht mehr so gut, da nun auch der Bruder Küchenmeister in das klösterliche Geheimnis eingeweiht worden war (nämlich, wie man jene langsam zu Tode martert, bei welchen keine Hoffnung mehr besteht, sie zur Botmäßigkeit zu bringen), und so hatte er die Speisereste, welche er mir zuwarf, mit Asche, Haaren und Kehricht vermischt, so daß ich mir aus dem Ganzen kaum einen Bissen herausfischen konnte, welcher meinem Heißhunger genießbar erschienen wäre. Auch wurde mir nicht gestattet, Wasser in meine Zelle zu nehmen. An den gemeinsamen Mahlzeiten durfte ich nicht mehr teilnehmen, und so war ich gezwungen, meine Durstqualen, welche durch die beständige Sorge, darin ich schwebte, noch gesteigert wurden, am Brunnenrand kniend zu löschen (denn ich besaß keinerlei Trinkgefäß), indem ich das Wasser mit der hohlen Hand herausschöpfte, oder aber es wie ein Hund aus dem Trog leckte. Ging ich für kurze Zeit in den Klostergarten, so benutzten sie meine Abwesenheit, um aus meiner Zelle jedes Möbelstück zu entfernen, oder aber die größeren Stücke zu zerschlagen. Daß man mir mein Kruzifix weggenommen, habe ich Euch schon gesagt. Trotzdem fuhr ich fort, meine Gebete kniend vor dem Tisch zu verrichten, auf dem es gestanden hatte. Aber dann wurde mir auch der Tisch fortgenommen, der Stuhl, das Brevier, der Rosenkranz, – kurz, mit der Zeit verschwand alles aus meiner Zelle, so daß dieselbe schließlich nur noch aus vier kahlen Wänden und einem Bett bestand, auf dem zu ruhen sie mir unmöglich gemacht hatten. Es mochte aber sein, daß sie dennoch fürchteten, ich könnte Ruhe darauf finden, und so verfielen sie auf ein Hilfsmittel, welches, wäre ihnen alles nach Wunsch gegangen, mich durch den Verlust der Ruhe wohl auch um den Verstand gebracht hätte.
Nämlich, in einer jener Nächte fuhr ich aus dem Schlummer und glaubte, meine Zelle stehe in Flammen. Entsetzt sprang ich vom Lager auf, schrak aber sogleich zurück, da ich mich von lodernden Teufeln umgeben wähnte, die feurige Atemwolken über mich hinwegbliesen. In meinem verzweifelten Schrecken rannte ich gegen die Wand – und entdeckte, daß das, worin ich da griff, sich ganz kalt anfühlte. Jetzt erst kam mir die Erinnerung wieder, und ich verstand plötzlich, daß diese scheußlichen Gestalten mit Phosphor an die Wände gemalt worden waren, um mich zu erschrecken. So ging ich denn wieder zu Bett und sah zu, wie jene Gebilde beim heller werdenden Tageslicht nach und nach verblaßten. Noch an diesem Morgen faßte ich den verzweifelten Entschluß, mit meinen Zutritt beim Pater Superior zu erzwingen, und mir dort Gehör zu verschaffen. Denn langsam fühlte ich, daß man im Begriff stand, mir durch all die mich umgebenden Schrecken auch noch den Verstand zu verwirren.
Es dauerte aber bis nach Mittag, ehe ich meinen Entschluß in die Tat umsetzen konnte. Ich klopfte an die Zellentür, und der Pater Superior legte bei meinem Anblick den gleichen Schrecken an den Tag, welchen er schon bei meinem letzten Versuch gezeigt hatte. Diesmal ließ ich mich jedoch nicht abschütteln. ›Mein Vater‹, so sprach ich, ›ich bestehe darauf, daß Ihr mich anhört, und werde diesen Ort nicht verlassen, ehe Ihr solches
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